D. Lenz
Seit über 100 Jahren versuchen Wissenschaftler hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit von Plattwürmern zu kommen. Jetzt löst eine künstliche Intelligenz das Rätsel in gerade einmal 42 Stunden.
Medford (U.S.A.). Der Plattwurm zählt nicht zu den komplexesten Lebewesen auf der Erde, jedoch besitzt er eine Eigenschaft die der Medizin von großem Nutzen sein kann: Wird er nicht gefressen, so ist der Plattwurm unsterblich und regeneriert sich bei Verletzungen auf rätselhafte Weise von selbst.
Wenn es den Forschern gelänge, die biologischen Prozesse hinter dieser Eigenschaft zu verstehen, könnte es Millionen Menschen helfen. Beispielsweise könnten verlorene Gliedmaßen wieder nachwachsen oder durch die Selbstheilung auf Zellebene Parkinson, Krebs und anderen Krankheiten besiegt werden.
Seit über 100 Jahren versuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt hinter das biologische Geheimnis der Unsterblichkeit dieses Tieres zu kommen. Im Laufe der Jahre hat man dem Plattwurm den Kopf abgetrennt – er wuchs wieder nach. Man hat ihn in zahlreiche kleine Stücke zerteilt – sein Gewebe bildete sich an jedem Stück wieder neu. Man hat ihn sogar bis auf jede Zelle radioaktiv verstrahlt – er regenerierte sich komplett. Die Eigenschaften dieses Tieres sind so rätselhaft, dass regelmäßig Wissenschaftler auf der Internationalen Plattwurm Konferenz zusammen treffen und die neuste Forschungsergebnisse austauschen.
Forscher der Tufts University in Massachusetts haben – mehr oder weniger aus Verzweiflung – eine künstliche Intelligenz auf das Problem angesetzt. Wie die Forscher im PLOS-Paper berichten, haben sie den Computer mit unzähligen Daten aus den Experimenten aus einem Jahrhundert gefüttert. Die künstliche Intelligenz (kurz: KI) hat dann anschließend ein Modell über die genaue Funktionsweise der sich regenerierenden Körperteile erarbeitet. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, welche Form die sich regenerierenden Gewebestückchen annehmen bzw. exakter ausgedrückt: Was genau mit den Zellen passieren muss, damit aus zwei Plattwurmhälften zwei komplette Würmer nachwachsen.
Die künstliche Intelligenz simulierte immer und immer wieder mögliche Gen-Netzwerke und modifizierte sie. Nach nur 42 Stunden fand die künstliche Intelligenz ein genetisches Modell, dass auf alle bisherigen Studienergebnisse passte. „Das Erstaunlichste daran ist, dass das Modell kein hoffnungslos verknäultes Netzwerk ist, das kein Mensch verstehen kann, sondern ziemlich einfach und verständlich“, so der Co-Autor der Studie Michael Levin.
Auch wenn Biologen die Arbeit der künstlichen Intelligenz für bahnbrechend halten und es für die ganze Forschungswelt ein riesen Sprung nach vorne war, so sind wir dennoch Jahre davon entfernt, künstliche Intelligenzen autonom forschen zu lassen. Der Grund ist einfach: Eine Computer braucht immer noch einen Menschen, der ihnen ihre eigene Sprache beibringt.
Trotzdem zeigt das Experiment, welches enorme Potenzial in künstlichen Intelligenzen steckt. Dass eine künstliche Intelligenz mit einer wissenschaftlichen Fragestellung konfrontiert wird und selbstständig eine Theorie zur Lösung ohne menschliche Hilfe ausarbeitet, ist tatsächlich eine Sensation. Die Forscher werten das neue Modell als einen großen Durchbruch - sowohl in der Biologie als auch in der Forschung an künstlicher Intelligenz. Und das alles, ohne einen einzigen Wurm zu zerschneiden.