Nicht immer sind es die großen, wissenschaftlichen Themen, die uns bewegen. Auch in den kleinen Fragen kann faszinierendes Potential stecken. Es braucht nicht immer Astrophysik, fremde Gestirne und andere Dimensionen. Wie verhält es sich denn hiermit: Was ist das lauteste Ding der Welt? Und wo kann ich es hören?
Die Antwort darauf zu geben ist deutlich komplizierter, als erwartet. Grundsätzlich gilt es dafür, sich eine wichtige Eigenschaft von Schall ins Gedächtnis zu rufen: Er ist mechanischer Natur. Ein Ton ist wie ein Schubser, wie ein Antippen der leicht gespannten Membran des Trommelfells im Ohr. Je lauter ein Ton ist, desto stärker ist diese Berührung. Wenn ein Geräusch laut genug ist, kann es ein Loch ins Trommelfell reißen oder einen umwerfen, wie der Tackle eines Footballspielers. Die Druckwelle einer Bombe kann Häuser dem Erdboden gleichmachen, alles nur mit dem Geräusch der eigenen Explosion. Ein Ton kann tödlich sein.
Nehmen wir dazu ein historisches Beispiel: Am Morgen des 27. August 1833 hörten Farmer in einem Schaflager in der Nähe von Alice Springs in Australien etwas, das klang wie zwei Schüsse aus einem Gewehr. Doch der Urheber war kein Schütze. Es war die ca. 3.594 Kilometer entfernte, vulkanisch aktive, indonesische Insel Krakatau, die sich in diesem Augenblick in die Luft sprengte. Wissenschaftler gehen bisher davon aus, dass dies der lauteste Knall war, den Menschen bisher messen konnten. Es gibt nicht nur Zeugenaussagen von Zeitgenossen, die die Explosion hörten, obwohl sie sich tausende Kilometer entfernt aufhielten, es liegen auch physikalische Beweise vor, dass der Knall der Krakatau-Explosion mehrfach über den kompletten Globus hinwegfegte.
Natürlich hat niemand den Krakatau in Moskau, Berlin oder London gehört. In New York wurde niemand in diesem Moment durch ein „Bumm“ aufgeschreckt. Aber an all diesen Orten wurden Ausschläge im atmosphärischen Druck gemessen. Im wahrsten Sinne des Wortes lag Spannung in der Luft und ließ wieder nach, immer wenn die Wellen des Krakatau-Knalls vorbeirauschten. Hierin liegen zwei sehr grundlegende Eigenschaften zum Thema Klang: Man muss den Ursprung des lautesten Knalls nicht sehen um ihn zu hören und nur weil man einen Ton nicht hört, heißt das noch lange nicht, dass er nicht da ist. Klänge haben sehr tiefgreifende Eigenschaften und sind die ganze Zeit um uns, ob uns dies nun bewusst ist oder nicht.
Auch wenn außerhalb unserer Wahrnehmung, ist die uns umgebende Welt deutlich voller, als uns bewusst. Ein wenig geht es uns allen wie Maria von Trapp. Vermeintlich auf einem leeren Feld stehend, schwingen wir unsere Arme um uns. Doch in Wirklichkeit geht es uns dabei mehr wie Pendlern in der U-Bahn Tokios. Schnipsen wir mit unseren Fingern, versetzen wir die Partikel und Moleküle direkt daneben in Schwingung. Diese wiederum stoßen dadurch gegen benachbarte Partikel und immer so weiter, bis die kinetische Energie komplett absorbiert wurde.
Was am 27. August 1833 durch Barometer weltweit gemessen wurde, waren nichts anderes als genau solche Anstöße nach der Krakatau Eruption. Diese Anstöße aneinander, nicht unähnlich einem Dominoeffekt, sind eine Schallwelle. Nimmt man das Beispiel der vollen U-Bahn, so wäre es in etwa so, als würde ein Passagier seinen Nebenmann heftig mit der Hüfte anrempeln. Dieser würde vermutlich gegen seinen Nachbarn stoßen und immer so weiter. Im Weltall, oder einem Vakuum, fehlt dieses molekulare Medium und deswegen hört einen im Weltraum auch niemand schreien. Das Muster von Bewegung, Anspannung und Erleichterung funktioniert hier einfach nicht. Ähnlich verhält es sich mit Wasser. Hier liegen die Moleküle viel enger aneinander.
Die beiden lautesten Tiere der Welt leben deswegen vermutlich in den Ozeanen. Pottwale und Knallkrebse (wäre letztere von durchschnittlich menschlicher Größe) können beide Geräusche von 200 Dezibel erzeugen. Der Knallkrebs erlegt so seine Beute, der Pottwal gibt ein klickendes Geräusch von sich um so seine Umgebung, mittels Echolotung, zu erkunden. Die Schallwelle prallt an Objekten ab und wird durchs Meer zum Wal zurückgetragen. Will man diese 200 Dezibel mit einem Geräusch an Land vergleichen, so käme es der ersten Stufenzündung der Saturn V Rakete mit 204 Dezibel etwa gleich, dem bisher lautesten, von der NASA gemessenen Knall.
Allerdings sind weder Wal noch Knallkrebs tatsächlich so laut wie eine Rakete. Da im Wasser Moleküle dichter gepackt sind, wird hier eine andere Dezibelskala angelegt. Würde ein Wal versuchen sich an Land zu orientieren, würde sein „Klick“ mit „nur“ 174 Dezibel ertönen. Also mit etwa der Lautstärke, die das dem Krakatau nächstgelegene (ca. 160 Kilometer entfernte) Barometer 1833 maß. Genug um ein menschliches Trommelfell zu zerfetzen. Grund genug also nicht mit Pottwalen schwimmen zu gehen.
Dezibel ist allerdings nicht alles. Nicht minder wichtig ist die Frequenz. Wir Menschen können ein ziemlich breites Feld an Frequenzen wahrnehmen, 64 bis 23.000 Hertz. Bewegen sich die Moleküle mit einer höheren oder geringeren Geschwindigkeit, dann ist die Schallwelle zwar vorhanden, kann aber von uns nicht mehr gehört werden. So wie mit der noch in Berlin und London aufgezeichneten Explosion des Krakatau. Tatsächlich ist es für Schall in Sachen Reichweite besser eine niedrige Frequenz zu haben. Wissenschaftler nennen dies Infraschall, also Schall mit Frequenzen von unter ca. 20 Hertz. Mittels Infraschall Messgeräten beispielsweise wird in 60 Stationen weltweit darauf geachtet, dass niemand illegale Atomwaffentest durchführt.
Dass wir Menschen eine natürliche Blockade gegen Infraschall haben dient dazu, dass wir nicht wahnsinnig werden. Infraschall nämlich ist immer vorhanden. Würden wir ihn wahrnehmen können, wäre eine Unterhaltung einfach nicht möglich. Selbst sensible Tiere wie Wale, Elefanten und Giraffen, sind nur einen kleinen Teil der Infraschallbandbreite empfänglich.
Allerdings kann Infraschall noch immer einen Effekt auf unseren Körper haben. Dezibel und Hertz sind nämlich zwei komplett unabhängige Werte. Wird ein menschlicher Körper Infraschall über 110 Dezibel ausgesetzt, so kann sich der Blutdruck und die Atmungsfrequenz ändern. Menschen wird schwindelig und sie bekommen Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. 1965 entdeckte die US-Airforce in einem Experiment, dass Testpersonen, wenn sie Infraschall mit rund 152 Dezibel für 90 Sekunden ausgesetzt werden, ein Gefühl von Bewegung in ihrer Brust jenseits ihrer Kontrolle erfahren. Mit genug Dezibel kann der atmosphärische Druck von Infraschall Lungenflügel leeren und aufblähen, also als Art künstlicher Beatmung funktionieren.
Womit wir zum größten Knall kämen, welcher der Mensch niemals hören konnte und dennoch aufzeichnete. Am 15. Februar 2013 detonierte der Tscheljabinsk Meteor über dem südlichen Teil Russland, nahe der kontinentalen Grenze zwischen Asien und Europa im Himmel. Überwachungssensoren, die der Suche nach illegalen Atomwaffentest dienen, zeichneten die Explosion auf. Noch 14.484 Kilometer entfernt war die Infraschallwelle messbar. Der nächstgelegene Sensor stand rund 700 Kilometer vom Ursprungsort entfernt. Und selbst an diesem Ort wurde die Infraschallexplosion des Tscheljabinsk Meteor noch mit 90 Dezibel gemessen. In Tscheljabinsk selber deckte die Explosion Häuser brachte eine Fabrikhalle zum Einsturz und beförderte 1.500 Personen ins Krankenhaus. In den letzten 200 Jahren war nur der berühmte Tunguska Meteor größer (und eventuell lauter). Dieser entwurzelte auf 2000 km² 60 Millionen Bäume. Die vermutlich 310 Dezibel laute Explosion soll noch 500 Kilometer entfernt von Passagieren der Transsibirischen Eisenbahn gespürt worden sein.