Robert Klatt
Ausgrabungen in Ecuador haben belegt, dass vor etwa 2.100 Jahren Köpfe von verstorbenen Babys und Kleinkindern vor dem Begräbnis in größere Schädel gesteckt wurden. Vermutlich stammten die dafür nötigen Schädel, die die Seele der Toten schützen sollten, von rituellen Menschenopfern.
Charlotte (U.S.A.) Rituale mit Totenschädeln im Mittelpunkt konnte die Archäologie bereits in vielen antiken Kulturen und Religionen nachweisen. Dazu gehörten zum Beispiel die Kelten, die Schädel ihrer getöteten Feinde konservierten und als Trophäen aufbewahrten. Auch im Steinzeitheiligtum von Göbekli Tepe wurde ein Schädelkult nachgewiesen, dem Menschen vor etwa 10.000 Jahren nachgegangen sind. In andere steinzeitlichen Grabstätten wurden hingegen Schädeln der Verstorbenen gefunden, denen vermutlich eine besonders Bedeutung beigemessen wurde und die aus diesem Grund dort aufgespießt wurden.
Nun haben Wissenschaftler University of North Carolina in Charlotte einen bisher einzigartigen Schädelkult entdeckt. Laut des im Fachmagazin Latin American Antiquity publizierten Artikels, haben Menschen vor etwa 2.100 Jahren an der Küste Ecuadors die Schädel gestorbener Babys und Kleinkinder in einem größeren Schädel eines anderen Menschen versteckt. Entdeckt wurde dieses Ritual in Gräbern im Ort Salango. Wie die Forscher um Studienleiterin Sara Juengst erklären, „waren die beiden Kinder mit einem Helm aus dem Schädel eines anderen Kindes bestattet.“
Laut den Archäologen deutet der gute Zustand des inneren Kinderschädels darauf hin, dass zur Zeit des Begräbnisses der äußere Schädel, der als Helm diente, noch von Fleisch umgeben war. Die beiden gefundenen Schädel passten jeweils nur knapp in ihren knöchernen Helm, was darauf schließen lässt, dass auch der äußere Schädelknochen von einem Kind stammen muss.
Wie Juengst erklärt, „ist das sowohl in Südamerika als auch weltweit der einzige bekannte Beleg für die Nutzung eines jugendlichen Schädels als Toten-Kopfschmuck.“ Aus welchem Grund die Schädelhelme genutzt worden ist noch unklar. Neben den Gräbern mit Schädelhelmen entdecken die Forscher auch noch eine Reihe von Gräbern, in denen lediglich Figuren aus Holz neben dem Kopf der Toten platziert waren.
Eine mögliche Begründung für das einmalige Totenritual ist laut den Autoren des Artikels der Schutz der Seele der Toten. Wie Juengst erklärt, „könnte dies einen Versuch repräsentieren, den Schutz dieser präsozialen und wilden Seelen sicherzustellen.“ Eine andere Möglichkeit ist laut den Wissenschaftlern, dass der äußere Schädelhelm einem Angehörigen der Kinder gehörte. Noch ausstehende DNA-Analysen sollen diese Vermutung untersuchen.
Außerdem könnten die Schädel laut den Archäologen von rituellen Menschenopfern stammen. Ascheablagerungen deuten darauf hin, dass in der Nähe der Gräber früher ein aktiver Vulkan existierte. Es ist deshalb möglich, dass das Guangala-Volk den Vulkan durch Menschenopfer besänftigen wollte, umso Ausbrüche zu verhindern, die ihre Nahrungsversorgung gefährdeten. Für diese Theorie spricht auch, dass die Knochen aus den Gräbern Anzeichen von Mangelerscheinungen besitzen. Laut Juengst „war die Behandlung der beiden Kinder möglicherweise Teil eines größeren, komplexen Rituals, mit dem die Menschen auf die Umweltfolgen der Eruption reagierten.“
Latin American Antiquity, doi: 10.1017/laq.2019.7