Robert Klatt
In Brasilien wurden Fossilien einer Riesenschildkröte entdeckt, deren Gigantismus die Wissenschaftler überrascht.
Tübingen (Deutschland). Die Asiatische Schmalköpfige Weichschildkröte (Chitra chitra) und die Südamerikanische Flussschildkröte (Podocnemis expansa) gehören mit einer Maximallänge von 140 respektive 110 Zentimetern zu den größten derzeit lebenden Süßwasserschildkröten. Laut Dr. Gabriel S. Ferreira vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen gab es in der Erdgeschichte aber auch Süßwasserschildkröten, die noch deutlich größer waren.
„Auch aus der Vergangenheit kennen wir nur wenige in Süßgewässern lebende Schildkröten, die eine Panzerlänge von 150 Zentimetern überschritten haben. Zuletzt sind solche großen Tiere vor allem aus dem Miozän, der Zeit vor etwa 23 bis fünf Millionen Jahren, bekannt.“
Laut einer Publikation in den Biology Letters haben die Forscher um Ferreira nun eine große Schildkrötenart aus dem Pleistozäns, einer Epoche der Erdgeschichte, die vor etwa 2,58 Millionen Jahren begann und bis vor etwa 11.700 Jahren dauerte, beschrieben. Die Fossilien des Tieres aus dem späten Pleistozäns wurden von Goldgräbern in Porto Velho in Brasilien entdeckt.
Die Wissenschaftler konnten anhand der entdeckten Überreste des Unterkiefers rekonstruieren, dass die Schildkrötenart eng mit der rezenten Dickkopf-Amazonas-Schildkröte (Peltocephalus dumerilianus) verwandt ist.
„Benannt haben wir die neue Art nach der Riesenschildkröte ‚Maturin‘, ein übergreifender Protagonist im Stephen-King-Multiversum. Maturin ist in den Romanen und Filmen Kings für die Entstehung des Universums verantwortlich.“
Die Schildkröte der Art Peltocephalus maturin war laut den Analysen etwa 180 Zentimeter groß. Sie gehört damit zu den größten bekannten Süßwasserschildkröten der Erde. Normalerweise kommen solche Größen nur bei Meeres- und Landschildkröten vor.
„Das ist insofern sehr überraschend, da Süßwasserschildkröten – im Gegensatz zu ihren terrestrischen und marinen Verwandten – selten solche Giga-Formen aufweisen und die jüngsten bislang bekannten Riesen-Fossilien aus miozänen Ablagerungen stammen.“
Zu den Lebzeiten von Peltocephalus maturin lebten im Amazonasgebiet bereits Menschen. Laut den Forscher ist es deshalb denkbar, dass die große Schildkrötenart als Nahrungsquelle gedient hat.
„Bereits vor etwa 12.600 Jahren besiedelten Menschen das Amazonasgebiet. Wir wissen zudem, dass große Landschildkröten seit dem Paläolithikum auf dem Speiseplan von Homininen stehen. Ob auch die, aufgrund ihrer Beweglichkeit deutlich schwerer zu fangenden, Süßwasserschildkröten den frühen Menschen zum Verzehr dienten und ob Peltocephalus maturin – gemeinsam mit der südamerikanischen Megafauna – zum Opfer menschlicher Ausbreitung wurde, ist noch unklar. Hier benötigen wir noch weitere Daten aus den spätpleistozänen und frühholozänen Ablagerungen des Amazonasbeckens.“
Biology Letters, doi: 10.1098/rsbl.2024.0010