Robert Klatt
Ein in England entdeckter, 300.000 Jahre alter Riesen-Faustkeil stellt Archäologen vor ein ungelöstes Rätsel.
London (England). Der Homo erectusm, der Homo heidelbergensis und der Neandertaler nutzten hunderttausend Jahre Faustkeile der sogenannten Acheuléen-Technologie. Die Allzweckwerkzeuge der Frühmenschen wurden meistens aus durch beiderseitige Abschläge aus Feuerstein hergestellt und hatten eine Form und Größe, die gut in der Hand lag. Forscher des University College London (UCL) um Letty Ingrey haben nun bei Ausgrabungen im Medway Valley zahlreiche 300.000 Jahre alte Artefakte entdeckt, darunter auch mysteriöse Riesen-Faustkeile.
„Wir beschreiben solche Werkzeuge als Riesen-Faustkeile, wenn sie mehr als 22 Zentimeter lang sind. Hier haben wir gleich zwei in dieser Größe gefunden. Die größere ist kolossale 29,5 Zentimeter lang, das ist einer der größten je in Großbritannien entdeckten.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Internet Archaeology hat die Archäologie weltweit bisher nur zwei noch größere Faustkeile entdeckt. Der in Medway entdeckte monumentale Faustkeil zeichnet sich durch einen bemerkenswert dicken Griff und eine verlängerte, schmale Spitze aus.
„Die oberste Spitze muss direkt nach der Herstellung extrem scharf gewesen sein.“
Die enormen Dimensionen dieser gigantischen Faustkeile stellen Archäologen vor ein Rätsel. Bis dato bleibt es eine offene Frage, ob die Frühmenschen diese Instrumente in ähnlicher Weise wie die handlicheren, einhändig bedienbaren Steinmesser einsetzen konnten. Alternativ ist es möglich, dass diese gewaltigen Faustkeile auf eine besondere Art und Weise genutzt wurden, etwa indem sie am Boden positioniert wurden und das zu bearbeitende Material entlang ihrer Schneide geführt wurde, anstatt andersherum.
„Diese Handbeile sind so groß, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sie in der Hand gehalten und praktisch eingesetzt werden konnten.“
Laut den Forschern ist es aber auch möglich, dass die Riesen-Faustkeile nicht als Werkzeug, sondern als Symbol dienten.
„Vielleicht hatten sie aber auch eine weniger praktische als vielmehr symbolische Funktion, möglicherweise als bloße Demonstration von Stärke oder Kunstfertigkeit.“
Überdies stehen die Wissenschaftler noch vor dem Rätsel, warum derart riesige Steinwerkzeuge überhaupt produziert wurden. Auch bleibt die Frage unbeantwortet, welcher Spezies der Frühmenschen sie zugeordnet werden können. Von der zeitlichen Einordnung her könnten sie aus der Frühphase der Neandertaler-Besiedlung in Großbritannien stammen. Jedoch besteht auch die Möglichkeit, dass eine andere Art von Frühmenschen, möglicherweise der Homo heidelbergensis, diese gigantischen Werkzeuge hinterlassen hat.
Internet Archaeology, doi: 10.11141/ia.61.6