Robert Klatt
Menschen in Japan haben absichtlich die Schädelform ihrer Kinder verändert. Die Schädelmodifikationen wurden wahrscheinlich durchgeführt, um eine Gruppenidentität zu erschaffen.
Fukuoka (Japan). Schädelverformungen, die reversible oder dauerhaft sein können, entstehen bei Babys häufig durch konstanten Druck, der bei einer falschen Schlafposition auf den weichen Kinderkopf einwirkt. Bis in das 20. Jahrhundert führten Menschen zudem absichtliche Schädelmodifikationen durch, die etwa durch das Binden des Kopfes bei Kindern erzeugt wurden. In der Epoche der Völkerwanderung kam es besonders in Europa und Zentralasien zu solchen Schädeldeformationen. Die Archäologie nimmt an, dass Schädelmodifikationen durchgeführt wurden, um Gruppenzugehörigkeit oder sozialen Status zu demonstrieren.
Wissenschaftler der Universität Kyūshū um Noriko Seguchi haben nun entdeckt, dass auch in Japan bei den Hirota absichtliche Schädelmodifikationen durchgeführt wurden. Laut der Publikation im Fachmagazin PLOS ONE hat die in Tanegashima lebende Kultur zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert n. Chr. die Kopfform ihrer Kinder künstlich verändert. Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden nicht entdeckt, was darauf hindeutet, dass die Praxis bei Männern und Frauen angewendet wurde.
„Ein Ort in Japan, der seit Langem mit Schädeldeformation in Verbindung gebracht wird, ist der Hirota-Standort auf der japanischen Insel Tanegashima, in der Präfektur Kagoshima. Hier handelt es sich um eine große Begräbnisstätte der Hirota, die dort vom Ende der Yayoi-Zeit, etwa im 3. Jahrhundert n. Chr., bis zur Kofun-Zeit, zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert n. Chr., lebten.“
Die Ausgrabungsstätte wurde zwischen 1957 und 1959 und dann erneut zwischen 2005 und 2006 untersucht. Bei den anfänglichen Untersuchungen wurden Überreste entdeckt, die durch auffällige Schädelverformungen, speziell kurze Köpfe und abgeflachte Hinterköpfe, charakterisiert waren. Bisher war es jedoch unklar, ob die Schädelmodifikationen absichtlich herbeigeführt wurden oder unbeabsichtigt durch andere Gewohnheiten entstanden.
Die Forscher haben die Fossilien deshalb 2D-Bilder der Knochen und 3D-Scans der Oberfläche analysierte. Die Ergebnisse verglichen sie mit Schädeln anderer archäologischer Fundorte in Japan, etwa von den Doigahama Yayoi aus West-Yamaguchi und den Jomon-Menschen von Kyushu, den Jäger-Sammler-Vorfahren der Yayoi. Neben der visuellen Bewertung der Schädelform wertete das Team alle diese Daten aus und analysierte die Konturen und Formen der Schädel.
„Unsere Ergebnisse zeigten eine deutliche Schädelform und signifikante statistische Unterschiede zwischen den Individuen von Hirota und den Proben der Kyushu Island Jomon und Doigahama Yayoi. Das Vorhandensein eines abgeflachten Hinterkopfes, gekennzeichnet durch Veränderungen am Hinterhauptbein, zusammen mit Vertiefungen in Teilen des Schädels, die die Knochen verbinden, insbesondere den sagittalen und lambdoidalen Nähten, deutete stark auf eine absichtliche Schädelmodifikation hin.“
Wieso die Menschen die Schädelform ihrer Kinder modifiziert haben, ist unklar. Die Autoren vermuten, dass die Hirota ihre Schädel verformten, um ihre Gruppenidentität zu erschaffen und den Handel mit Muscheln zu vereinfachen.
„Unsere Erkenntnisse tragen wesentlich zum Verständnis der Praxis der gezielten Schädelmodifikation in alten Gesellschaften bei. Wir hoffen, dass weitere Untersuchungen in der Region zusätzliche Einblicke in die soziale und kulturelle Bedeutung dieser Praxis in Ostasien und weltweit bieten werden.“
PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0289219