Kannibalismus unter Menschen

Tote wurden in der Jungsteinzeit oft gegessen anstatt begraben

Robert Klatt

Schädelschalen belegen Endokannibalismus )nodnoL muesuM yrotsiH larutaN eht fo seetsurT(Foto: © 

In der Jungsteinzeit war Endokannibalismus in Europa weitverbreitet. Tote der Magdalénien-Kultur wurden gegessen und nicht begraben.

London (England). Stammesmitglieder in Papua-Neuguinea haben bis in den 1950er-Jahre das Fleisch ihrer Toten oft gegessen, anstatt diese zu begraben. Im Jahr 1954 wurde dieser Endokannibalismus unter anderem aus gesundheitlichen Gründen verboten. Es stellte sich heraus, dass Menschen, die den Endokannibalismus praktizierten, sich öfter mit Kuru ansteckten. Diese unheilbare Krankheit, die durch den Verzehr infizierter Gehirne übertragen wird, führt in der Regel innerhalb eines Jahren zu einem qualvollen Tod.

Forscher des Centre for Human Evolution Research des Natural History Museum (NHM) haben nun entdeckt, dass Endokannibalismus während der Jungsteinzeit auch in Europa verbreitet war. Zu jener Zeit lebten im Nordwesten Europas Menschengruppen, die zur Magdalénien-Epoche gehörten, einer archäologischen Phase des Jungpaläolithikums.

Schnitt-, Bruch- und Kauspuren in menschlichen Knochen

Laut der Publikation im Fachmagazin Quaternary Science Reviews haben die Forscher über 100 menschliche Knochen aus der Gough's Cave, einer paläolithischen Fundstätte in England, untersucht. Auf den Knochen wurden zahlreiche Schnitt-, Bruch- und Kauspuren entdeckt. Wie William Marsh erklärt, haben die Forscher überdies alle archäologischen Stätten untersucht, die der Magdalénien-Kultur zugeschrieben werden, um die Knochen aus der Gough's Cave korrekt einordnen zu können.

Fundstellen für Endokannibalismus in Europa
Fundstellen für Endokannibalismus in Europa )muesuM yrotsiH larutaNhsraM mailliW(Foto: ©

Endokannibalismus in Nordwesteuropa

Die Funde belegen, dass im Jungpaläolithikums das Verspeisen von Leichen im Nordwesten Europas nicht unüblich war. Laut den Forscher existieren ausreichend Belege, die darauf hindeuten, dass bei den Magdalénien-Gruppen in Nordwesteuropa Endokannibalismus eine verbreitete Bestattungsform war und nicht lediglich eine Notlösung darstellte.

Gruppen waren genetisch verwandt

In Nordwesteuropa praktizierende kannibalistische Gemeinschaften hatten auch genetische Gemeinsamkeiten. Sie wurden jedoch später von Angehörigen der epigravettischen Kulturen abgelöst, die konventionelle Bestattungsmethoden bevorzugten. Laut den Wissenschaftlern führte dies zum Verschwinden des kannibalistischen Begräbnisrituals.

„Während der Endphase des Paläolithikums ist tatsächlich ein Wechsel sowohl in der genetischen Abstammung als auch im Bestattungsverhalten zu beobachten, was auf eine Verdrängung der Bevölkerung hinweist, als epigravettische Gruppen nach Norden wanderten.“

Quaternary Science Reviews, doi: 10.1016/j.quascirev.2023.108309

Spannend & Interessant
VGWortpixel