Robert Klatt
Kapitalismuskritiker sind oft der Meinung, dass große Vermögensunterschiede erst durch das aktuelle Wirtschaftssystem entstehen konnten. Laut einer neuen Studie hat sich die Vermögensungleichheit jedoch bereits kurz nach der Einführung des Ackerbaus entwickelt.
Pullman (U.S.A.). In den meisten Staaten sind die Einkommen und die Vermögen ungleich verteilt. Laut Kapitalismuskritikern geht diese Vermögensungleichheit vor allem auf das aktuelle Wirtschaftssystem zurück. Forscher der Washington State University (WSU) haben nun eine Studie publiziert, die zeigt, dass die Ungleichheit beim Vermögen bereits vor über 10.000 Jahren entstanden ist, also lange bevor es die ersten großen Reiche des Menschen gab.
Laut der Publikation im Fachmagazin PNAS haben die Forscher hinterfragt, ob Vermögensungleichheiten tatsächlich erst mit der Entstehung großer Zivilisationen wie Ägypten oder Mesopotamien entstanden sind. Dazu haben sie über 47.000 Wohngebäude aus 1.100 archäologischen Fundstätten analysiert. Die Wohnfläche der Häuser dient als Indikator für den materiellen Wohlstand.
Die Forscher wendeten den Gini-Koeffizienten, eine Kennzahl für die ökonomische Ungleichheit, auf die Hausgrößen an. Sie konnten so rekonstruieren, dass die Vermögensunterschiede in frühbäuerlichen Dörfern noch relativ gering waren. Laut der Analyse entstanden jedoch bereits 1.500 Jahre nach der Einführung des Ackerbaus, also noch in der Jungsteinzeit (Neolithikum), in unterschiedlichen Regionen erste Vermögensungleichheiten. Diese haben anschließend mit einer wachsenden Komplexität und Größe der Siedlungen zugenommen.
„Viele Menschen stellen sich frühe Gesellschaften als gleichberechtigt vor, aber unsere Forschung zeigt, dass sich soziale Ungleichheit überraschend früh verfestigte. Der Wandel geschah nicht schlagartig – er entwickelte sich schrittweise, als sich Gesellschaften ausdehnten, die Bevölkerung wuchs und Ressourcen knapper wurden.“
Die zunehmende Vermögensungleichheit geht laut der Studie auf unterschiedliche Faktoren zurück. Als die bäuerlichen Gemeinschaften größer wurden, wurde das Land zu einer begrenzten Ressource. Dies führte zu Konkurrenzkämpfen sowie zu technischen Neuerungen wie Terrassierung und Bewässerung, um die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen.
Im Zeitverlauf entstanden größere Siedlungen, die sich zu wirtschaftlichen und politischen Machtzentren entwickelt haben. In diesen Orten hat sich der Wohlstand auf wenige Familien konzentriert. Am stärksten war diese Entwicklung in dicht besiedelten Regionen, in denen die wirtschaftliche Ungleichheit deutlich ausgeprägter war als in kleineren Dörfern.
Obwohl viele technische Neuerungen wie die Anlage von Bewässerungssystemen die Vermögensunterschiede deutlich verstärkt haben, gab es auch Innovationen, die die Ungleichheit reduziert haben. Ein Beispiel dafür ist die Eisenverhüttung, die einem Großteil der Bevölkerung den Zugang zu besseren Werkzeugen und damit zu einer höheren Produktivität ermöglicht hat.
Die Studie widerspricht damit der These, dass technische Innovationen ausschließlich der Elite helfen. Außerdem haben soziale und politische Faktoren wie neue Regierungssysteme in vielen Kulturen die Ungleichheit erhöht oder reduziert.
„Das ist kein rein modernes Problem. Wenn wir verstehen, wie sich Ungleichheit entwickelt hat, können wir sie als ein dauerhaftes Phänomen erkennen, mit dem Gesellschaften seit Jahrtausenden ringen. Die Vergangenheit hat uns in dieser Hinsicht viel zu lehren.“
Wie die Forscher erklären, sind die Studienergebnisse auch für aktuelle politische und ökonomische Entscheidungen relevant.
„Diese Muster sind tief in unserer Geschichte verankert. Doch wenn wir sie genau untersuchen, können wir ihre Auswirkungen auf unsere Gegenwart besser verstehen. Vielleicht gelingt es uns so, ihre negativen Folgen künftig gezielter zu bekämpfen.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2400691122