Robert Klatt
Dunkle Materie kann nur indirekt beobachtet werden. Eine Kollision von zwei großen Galaxienhaufen zeigt nun, welche Geschwindigkeit sie im Universum erreicht.
Pasadena (U.S.A.). Dunkle Materie kann bisher nur indirekt, etwa über die Bewegung von Sternen und Galaxien, beobachtet werden. Laut Emily Silich vom California Institute of Technology (Caltech) eignen sich dafür besonders gut große Galaxiencluster, weil diese aus bis zu 90 Prozent Dunkler Materie bestehen. Wenn es innerhalb der Galaxiencluster zu Kollisionen kommt, offenbaren diese, wie die sichtbare Materie und die unsichtbare Dunkle Materie miteinander interagieren.
„Verschmelzungen zwischen solchen massereichen Galaxienhaufen sind ein besonders sensibler Testfall für die kosmologischen Modelle.“
Forscher des Caltech haben nun erstmals gemessen, welche Geschwindigkeit Dunkle Materie bei einer Kollision von zwei Galaxienhaufen erreicht. Laut ihrer Publikation im The Astrophysical Journal haben sie dies bei den Galaxienhaufen MACS J0018.5+1626 ermittelt, die beide tausende Galaxien umfassen und sich in mehreren Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde befinden. Im Gegensatz zu den meisten bekannten Galaxienhaufen, die sich im Weltraum quer zu unserer Position bewegen, findet die Verschmelzung beim Galaxienhaufen MACS J0018.5+1626 in Richtung unserer Position statt. Laut Jack Sayers kann die Geschwindigkeit der Dunklen Materie deshalb gut gemessen werden.
„Beim Bullet Cluster und anderen sitzen wir gewissermaßen auf der Tribüne eines Autorennens und können daher schöne Schnappschüsse der Rennautos schießen, während sie einander auf der Zielgeraden überholen. In unserem Falle stehen wir dagegen mit direkt am Rand der Piste und sehen die Rennwagen auf uns zurasen. Wir können daher wie mit einer Radarpistole ihre Geschwindigkeit messen.“
Um Geschwindigkeit der Dunklen Materie zu ermitteln, haben die Astronomen spektrale Beobachtungsdaten von Teleskopen verwendet. Objekte, die sich der Erde annähern, erzeugen spektrale Verschiebungen im blauen Wellenbereich und Objekte, die sich von der Erde wegbewegen, im roten Wellenbereich. Die Forscher haben zudem den Sunyaev-Zel’dovich-Effekt verwendet, der auftritt, wenn Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung vom Gas der Galaxienhaufen gestreut werden. Die dabei auftretende Streuung erlaubt Rückschlüsse auf das Tempo des Gases der Galaxienhaufen.
Laut den Beobachtungsdaten bewegen sich die Dunkle Materie und die sichtbaren Gase bei der Kollision der beiden großen Galaxienhaufen nicht mit einer identischen Geschwindigkeit, sondern entkoppelt sich voneinander. Beide Galaxienhaufen bewegen sich zunächst mit etwa 3000 km/h aufeinander zu. Anschließend trennt sich die Dunkle Materie von den Gasen und erreicht eine deutlich höhere Geschwindigkeit. Modelle zeigen, dass das heiße, sichtbare Gas bei Galaxienhaufen mehrere 100 Millionen Jahre braucht, um die Dunkle Materie einzuholen.
Wie Silich ist der Prozess mit einer Kollision von zwei Lkw mit Sand vergleichbar. Wenn sich diese treffen, stoppen zunächst die beiden Lkw und der lose Sand fließt zwischen ihnen durch.
Die deutlich höhere Geschwindigkeit der Dunklen Materie entsteht, weil diese nur eine minimale Wechselwirkung mit ihrer Umgebung hat. Sie wird lediglich durch die Gravitation beeinflusst, während normale Materie, etwa die heißen Gasmassen, auch den Elektromagnetismus beeinflusst werden. Bei den beobachteten Kollision haben elektromagnetische Kräfte Turbulenzen verursacht, die die Geschwindigkeit der Gase reduziert haben.
„Es hat uns eine lange Zeit gekostet, alle Puzzleteile zusammenzufügen. Aber jetzt wissen wir endlich, was dort vor sich geht. Wir hoffen nun, dass dies einen neuen Weg ebnet, Dunkle Materie in Galaxienhaufen zu untersuchen.“
The Astrophysical Journal, doi: 10.3847/1538-4357/ad3fb5