Robert Klatt
Ein sechsmonatiger Aufenthalt im Weltraum lässt das Skelett so stark abbauen wie 20 Jahre auf der Erde.
Calgary (Kanada). Lange Aufenthalte im Weltraum wie zum Beispiel bei Reisen zum Mars oder bei Aufenthalten auf der geplanten chinesisch russischen Raumstation sind für den Körper aufgrund der fehlenden Gravitation und der hohen Strahlenbelastung eine enorme Belastung. Welche Folgen Langzeitmissionen auf die Gesundheit haben, ist aber noch nicht vollumfänglich bekannt.
Eine Studie der kanadischen University of Calgary hat nun die Veränderung von Knochenstrukturen von Astronauten nach einem mehrmonatigem Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation (ISS) untersucht. Dabei kamen die Wissenschaftler laut ihrer Publikation im British Journal of Sports Medicine zu dem Ergebnis, dass auch regelmäßiges Training in der Schwerelosigkeit den Knochenschwund nicht verhindern kann.
Dass lange Aufenthalte in der Schwerelosigkeit sich negativ auf die Knochen auswirken, konnte die Forschung schon vor langer Zeit nachweisen. Die nun veröffentlichte Studie liefert aufgrund neuer Analysetechnologien aber deutlich genauere Daten. Untersucht wurden die Knochen der Astronauten mithilfe von hochauflösenden 3D-Bildern, die mit einer hoch entwickelten Computer-Tomografie erstellt wurden. Es lassen sich so Veränderungen, die feiner als ein menschliches Haar sind, sichtbar machen. Außerdem nahmen die Forscher vor und nach dem Aufenthalt auf der ISS Blut- und Urinproben und dokumentierten das Training der Probanden auf der ISS.
Teilgenommen haben an der Studie 17 Astronauten (14x männlich, 3x weiblich), der NASA, ESA und aus Kanada, die im Mittel fast 47 Jahre alt waren. Die Aufenthalte auf der ISS dauerten dreieinhalb bis sieben Monate. Alle Probanden führten auf der Raumstation täglich Übungen zur Stärkung von Herz und Kreislauf sowie der Muskulatur und Knochen durch.
Trotzdem baute sich das Skelett bei allen Probanden stark ab. Ein sechsmonatiger Aufenthalt im All sorgte für denselben Knochenabbau wie 20 Jahre auf der Erde. Ein Astronaut, der mit 40 Jahren auf die ISS fliegt und dort sechs Monate verbringt, hat nach seiner Rückkehr demnach das Skelett eines 60-jährigen Menschen. Grundsätzlich ist der Knochenschwund in den ersten Monaten besonders stark. Zu einer Stabilisierung kommt es aber auch nach sechs Monaten im Weltraum nicht.
Bei Astronauten, die vor der Mission besonders viel trainierten und ihr Trainingspensum auf der ISS verringerten, kam es zu besonders starkem Knochenschwund in den Beinen. Die Knochen in den Armen waren hingegen weniger betroffen.
Astronauten, die während ihres Aufenthalts auf der ISS ihr Training intensivierten, konnten sich hingegen besser gegen Knochenabbau schützen, ihre Knochenstärke aber nicht beibehalten. Dies zeigt laut den Wissenschaftlern, dass bei zukünftigen Missionen Astronauten ihre individuellen Trainingsgewohnheiten an den Aufenthalt im Weltraum anpassen sollten. Empfohlen werden eine höhere Trainingsintensität und eine Veränderung der Übungen.
Die Langzeitfolgen des Knochenverlusts sind noch nicht bekannt. Auch, ob der Knochenverlust reversibel ist, hat die Wissenschaft bisher nicht herausgefunden. Weitere Studien sollen laut Steven Boyds deshalb untersuchen, ob die Veränderungen in der Knochenmikroarchitektur nach Aufenthalten im Weltraum permanent sind und ob sich der Knochenverlust im Orbit bei noch längeren Missionen stabilisiert.
British Journal of Sports Medicine, doi: 10.1136/bjsports-2020-103602