Robert Klatt
Ein künstlicher Winterschlaf könnte Astronauten bei Langzeitmissionen im Weltraum vor kosmischer Strahlung schützen. Ratten haben in diesem Zustand eine normalerweise tödliche Strahlendosis mit geringen Gewebeschäden überlebt.
Darmstadt (Deutschland). Galaktische kosmische Strahlung (GCR) ist für Astronauten bei Langzeitmissionen im Weltraum das größte Gesundheitsrisiko. Es handelt sich dabei um hochenergetische geladene Teilchen, inklusive dicht ionisierender schwerer Ionen, aus fernen Galaxien, deren Energie so hoch ist, das sie nicht von Raumstationen und Raumschiffen aufgehalten werden kann. Die Wissenschaft sucht deshalb nach neuen Strahlungsschutzmaßnahmen, um bemannte interplanetare Missionen zu ermöglichen.
Ein Team des GSI Helmholtzzentrum Für Schwerionenforschung um Walter Tinganelli hat nun entdeckt, dass ein künstlicher Winterschlaf Astronauten vor kosmischer Strahlung schützen könnte. In der Biologie wird dieser Zustand, bei dem Tiere Körperfunktionen wie Atem- und Herzfrequenz reduzieren und ihre Körpertemperatur absenken, als Torpor bezeichnet.
Das Rückfahren der Körperfunktionen führt auf molekularer Ebene dazu, dass die Proteinbiosynthese und die Genaktivität langsamer ablaufen. Dieser natürliche Winterschlaf erhöht laut Experimenten die Strahlenresistenz der Tiere.
Laut der nun im Fachmagazin Scientific Reports publizierten Studie, könnte ein synthetischer Torpor, also ein künstlicher Winterschlaf, ebenfalls biologische Effekte auslösen, die vor ionisierender Strahlung schützen. Laut Professor Marco Durante, Leiter der GSI-Abteilung Biophysik, könnte dies den Strahlenschutz bei Astronauten verbessern.
„Die Zusammenhänge zwischen Torpor und Strahlenresistenz stellen einen hoch innovativen Forschungsansatz dar. Unsere aktuellen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass synthetische Torpor ein vielversprechendes Instrument zur Verbesserung des Strahlenschutzes im lebenden Organismus während einer langfristigen Weltraummission ist. Er könnte somit eine effektive Strategie zum Schutz des Menschen bei der Erforschung des Sonnensystems darstellen.“
Im Rahmen der aktuellen Studie versetzten die Wissenschaftler erstmals Tiere, die normalerweise keinen Winterschlaf halten, in einen Zustand, der dem natürlichen Winterschlaf stark ähnelt. Anschließend simulierten sie in Experimenten am Heavy-ion Medical Center der Gunma University in Japan komische Strahlung, mit der sie die Strahlenresistenz der Ratten untersuchen.
Dabei entdeckten sie, dass der künstliche Winterschlaf ebenfalls eine schützende Wirkung besitzt. Die Ratten überlebten in diesen Zustand eine normalerweise tödlichen Dosis an Kohlenstoff-Ionen und die Gewebeschäden bei der Ganzkörperbestrahlung waren deutlich geringer.
Eine Analyse der Gewebezellen zeigt, dass die Sauerstoffkonzentration in den Geweben (Hypoxie) und der Stoffwechsel bei niedriger Temperatur (Hypothermie) im künstlichen Winterschlaf stark reduziert waren. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass es sich dabei um wichtige Einflussfaktoren bei der Unterbindung von Zellschäden handelt. Immunhistologischen Analysen lieferten zudem Hinweise darauf, dass der künstliche Winterschlaf das Gewebe vor energetischer Ionenstrahlung schützt und dass das veränderte Stoffwechsel die DNA-Reparatur beeinflusst.
Wie die Forscher erklären, können Menschen aktuell noch nicht sicher in einen künstlichen Winterschlaf versetzt werden. Kürzlich wurden jedoch neuronale Bahnen entschlüsselt, die den Torpor kontrollieren. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, dass auch Menschen in Zukunft in diesen Zustand versetzt werden können.
Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-022-20382-6