Robert Klatt
In Helsinki wurde bei einer überraschend hohen Anzahl an Igeln ein sogenannter „multiresistenter Superkeim“ mit Pandemiepotenzial entdeckt.
Wien (Österreich). Multiresistente Bakterienstämme von Staphylococcus aureus (MRSA) werden in der Medizin als „Superkeime“ bezeichnet, weil sie gegen nahezu alle herkömmlichen Antibiotika immun und nur schwer behandelt werden können. Laut einer Studie der WHO sind antimikrobiellen Resistenzen gegenüber Antibiotika (AMR) deshalb global für Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich. Weil die Bakterien in der Umwelt, etwa in fast allen Seen Deutschlands treffen und sich dabei untereinander austauschen, nimmt die Anzahl resistenten Varianten stetig zu.
Wissenschaftler der Universität Helsinki haben auf dem European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID 2022) nun von neuen Formen der MRSA-Keime berichtet, die sie in Igeln entdeckt haben. Das Team um Venla Johansson hat für ihre Studie 115 Igel untersucht, die im Zeitraum von 2020 bis 2021 in Helsinki tot entdeckt wurden. Dabei konzentrierten sie sich auf resistente Keime wie den ESBL-Keim und MRSA.
Bei etwa zehn Prozent der Tiere entdeckten die Forscher zumindest einen ESBL-Stamm und eine MRSA-Variante. Zudem konnten die Forscher bei einigen Igeln resistente Bakterienstämme von Escherichia coli finden. Wie Johansson erklärt, vermuten sie, dass die Bakterien und ihre Resistenzen nicht in den Igeln entstanden, sondern von infizierten Menschen auf die Tiere übertragen wurden. Der umgekehrte Fall kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, laut der in mehr als der Hälfte (60 %) der Ratten in Wien multiresistente Keime vorkommen.
Der in Finnland dominierende mec-MRSA-Stamm kam überraschend bei den untersuchten Igeln nicht am häufigsten vor. Stattdessen entdeckten die Forscher bei einem Teil der Tiere eine neue MRSA-Variante, die als hochansteckend eingestuft ist und eine Pandemie auslösen könnte. „Dies ist der erste Nachweis dieses zur globalen Ausbreitung fähigen t304/ST6-Klons in Stadtigeln“, erklärt Johansson. Erstmals aufgetaucht ist dieser Variante erst vor Kurzem in einigen nordeuropäischen Krankenhäusern.
Zudem überraschte laut den Autoren die hohe Anzahl an Igeln mit resistenten ESBL-Keimen. „Mit rund zehn Prozent übertrifft die Durchseuchung der Igel mit ESBL-Bakterien sogar die der Menschen und ihrer Haustiere in Finnland, die auf jeweils rund fünf Prozent geschätzt wird“, so Johansson. Dominiert haben hier Varianten der ESBL-Bakterien mit Resistenzgenen gegen Carbapenem-Antibiotika, also Breitbandwirkstoffe, die bei schweren Infektionen oft verabreicht werden.
Die Ergebnisse bestätigen laut den Forscher das Problem der Antibiotika-Resistenzen und das Wechselspiel von Menschen und Tieren. „Unsere Funde könnten auf ein Spillover von antimikrobiellen Resistenzen aus anthropogenen Quellen auf städtische Wildtiere hindeuten. Dies wiederum erzeugt ein sekundäres Reservoir in der Umwelt, von dem aus dann wieder klinisch signifikante Übertragungen anderswo ausgehen können“, erklärt Johansson.