Versteckt im Genom

30.000 neue Viren im Erbgut von Einzellern entdeckt

Robert Klatt

Bakterien mit DNA von Viren in Petrischalen )kcotS ebodAitangavoR náiluJ(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • In Einzeller aus einem österreichischen See wurden über 30.000 neue Viren entdeckt
  • Bei manchen Bakterien besteht das Genom zu zehn Prozent aus Viren-DNA 
  • Die Forscher gehen davon aus, dass die Einzeller sich dadurch vor tödlichen Riesenviren schützen

Im Erbgut von Einzellern aus einem österreichischen See wurden über 30.000 neue Viren entdeckt. Teilweise besteht das Genom der Bakterien zu zehn Prozent aus eingebauten Viren.

Innsbruck (Österreich). Wissenschaftler der Universität Innsbruck haben 2021 im Wasser des Gossenköllesees in Tirol eine neue Gruppe von Viren entdeckt. Nun wollten die Forscher um Dr. Christopher Bellas vom Institut für Ökologie den Ursprung der Viren untersuchen.

„Ursprünglich wollten wir mit unserer Studie den Ursprung der neuen Polinton-ähnlichen Viren finden. Wir wussten aber nicht, welche Organismen normalerweise von diesen Viren befallen werden. Deshalb haben wir eine groß angelegte Studie durchgeführt und alle Mikroben untersucht, deren DNA-Sequenzen bekannt sind.“

Laut ihrer Publikation im Fachmagazin PNAS untersuchen die Wissenschaftler in ihrem großangelegten Screening, ob und wie viel Viren-DNA das Genom der Einzeller aus dem Gossenköllesee enthält. Es war bereits zuvor bekannt, dass viele Lebewesen DNA von Viren enthalten. Die mehrere Hundert Gigabyte große Datenbank analysierten die Forscher mit dem Supercomputer „Leo“ der Universität Innsbruck.

„Außerdem können DNA-Sequenzen dank der neuen Oxford-Nanopore-Technologie auch viel schneller gelesen werden.“

Diese Technologie basiert darauf, dass die DNA-Moleküle durch mikroskopisch kleine Kanäle in einer Membran hindurchgeführt werden. Jede der Basen – Adenin, Guanin, Cytosin oder Thymin – führt zu einer Unterbrechung des elektrischen Flusses und generiert dadurch ein spezifisches Signal, welches anschließend zur Ermittlung der DNA-Sequenz verwendet werden kann.

Über 30.000 neue Viren entdeckt

Im Genom der Bakterien entdeckten die Forscher die DNA von mehr als 30.000 Viren, die die Wissenschaft zuvor nicht kannte. Die Forscher fanden also nicht nur Polinton-ähnliche Viren, sondern noch weitere Viren, die sie im Rahmen der Studie eigentlich nicht gesucht hatten. Die in den Bakterien versteckte DNA ermöglicht den Zusammenbau von funktionalen Viren in der Wirtszelle.

„Wir waren sehr überrascht, wie viele Viren wir in dieser Studie gefunden haben. In einigen Fällen stellte sich heraus, dass bis zu 10 % des Genoms einer Mikrobe aus versteckten Viren besteht.“

Viren-DNA im Erbgut des Menschen

Sämtliche Lebensformen, von Bakterien bis zum Menschen, sind kontinuierlich von Viren befallen. Einige dieser Viren sind dauerhaft vorhanden, lösen jedoch nur gelegentlich Symptome aus, wie Herpesviren beim Menschen. Andere Viren hingegen verbergen sich noch effizienter und integrieren sich in die DNA ihrer Wirte. Aus der vorliegenden Studie geht hervor, dass eine Vielzahl von eukaryotischen Einzellern – also komplexen einzelligen Organismen mit Zellkern – von Viren durchsetzt sind. Diese Organismen sind ubiquitär und reichen von Algen in Seen und Meeren über Amöben im Erdreich hin zu menschlichen Parasiten.

„Warum in den Genomen dieser Mikroben so viele Viren zu finden sind, ist noch nicht klar. Unsere stärkste Hypothese ist, dass sie die Zelle vor einer Infektion durch gefährliche Viren schützen.“

Zahlreiche einzellige Organismen fallen einer Infektion durch sogenannte Riesenviren zum Opfer, welche eine Gruppe von Viren darstellen, die ähnlich groß wie Bakterien sein können. Solche Infektionen führen zum Tod des Wirtes und erzeugen dabei neue Kopien des Riesenvirus. Wenn sich allerdings ein Virophage innerhalb der Wirtszelle befindet, modifiziert er das Riesenvirus so, dass es zusätzliche Virophagen produziert. Dadurch wird das Riesenvirus mitunter abgewehrt und die Zerstörung der Wirtszellen verhindert.

Die DNA der kürzlich entdeckten Viren weist Ähnlichkeiten zur DNA von Virophagen auf. Daher ist es plausibel, dass die Wirtsmikroben mithilfe dieser integrierten Viren einen Schutz vor Riesenviren aufbauen können.

PNAS, doi: 10.1073/pnas.2300465120

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