Moleküle aus der Urzeit

90.000 Jahre alte Bakterien wieder zum „Leben“ erweckt

Robert Klatt

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Auf den Punkt gebracht
  • Forscher haben urzeitliche DNA von Bakterien aus Fragmenten, die aus dem Zahnstein von Neandertalern stammen, rekonstruiert 
  • Die Gene wurden dann in lebende Bakterien eingeschleust, die daraufhin funktionstüchtige Enzyme synthetisierten

Forscher haben erstmals die genetische Bauanleitung von Bakterien aus der Urzeit rekonstruiert und von modernen Mikroben nachbauen lassen. Die prähistorischen Biomoleküle eröffnen neue Einblicke in die chemische Evolution und könnten neue Wirkstoffe für Medikamente enthalten.

Jena (Deutschland). Bakterien produzieren unterschiedlichste Chemikalien. Die Naturstoffe, etwa Antibiotika und andere therapeutische Wirkstoffe, gehören in der Medizin zu den wichtigsten Quellen für neue Medikamente. Bislang wurde aber nur in lebenden Bakterien noch unbekannten Naturstoffen gesucht, weil die prähistorischen Biomoleküle kaum nachweisbar sind. Ihre Zusammensetzung ist in Form von DNA aber noch oft erhalten.

Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI), des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und der Universität Harvard um den Chemiker Pierre Stallforth haben diese Forschungslücke nun teilweise geschlossen.

„Es ist uns erstmals gelungen, Substanzen neu herzustellen, die vor hunderttausend Jahren von Bakterien produziert wurden – die Paläofurane.“

Als Basis diente laut der Publikation im Fachmagazin Science Bakterien-DNA aus der Urzeit, in der Baupläne für Enzyme, aus denen sich wiederum chemische Verbindungen bilden lassen, enthalten ist. Die Archäogenetikerin Christina Warinner bezeichnet die Ergebnisse als wissenschaftlichen Meilenstein.

„Mit dieser Studie haben wir einen wichtigen Meilenstein erreicht, um die enorme genetische und chemische Vielfalt unserer mikrobiellen Vergangenheit aufzudecken.“

Urzeitlichen DNA aus fossilem Zahnstein

Die Rekonstruktion urzeitlicher DNA ist komplex, weil die Bauanleitungen dieser Moleküle meistens in viele winzige Stücke zerfallen sind. Trotzdem konnten die Forscher aus bis zu 90.000 Jahre alten Fragmenten urzeitliche Gene rekonstruieren und die in ihnen kodierten Moleküle produzieren. Als Ausgangsmaterial nutzten 40.000 bis 100.000 Jahre alten Zahnstein von Neandertalern sowie 40.000 Jahre alten Zahnstein von modernen Menschen.

Aus den mineralisierten Überreste der unterschiedlichen Bakterien konnten die Forscher mit speziellen Extraktionsmethoden und einer bioinformatischen Analyse die Genome urzeitlicher Bakterienarten rekonstruieren, erklärt Anan Ibrahim.

„Die große bioinformatische Herausforderung lag darin, Fehler in der abgebauten DNA zu beheben und Verunreinigungen zum Beispiel durch jüngere DNA auszuschließen.“

Neue Bakterienspezies entdeckt

In der menschlichen Mundflora konnten, neben zahlreichen bereits bekannten Bakterien, bisher unbekannte Vertreter der Gattung Chlorobium identifiziert werden. Die stark beschädigte DNA dieser Organismen wies charakteristische Anzeichen von Alterung auf und konnte in den Zahnsteinen von sieben prähistorischen Individuen, sowohl Homo sapiens als auch Neandertalern, nachgewiesen werden. Interessanterweise enthielten alle sieben Chlorobium-Genome ein spezielles Biosynthese-Gencluster, welches für Enzyme kodiert und bisher unbekannte Funktionen aufweist.

Ein bemerkenswert gut erhaltenes Exemplar dieser Chlorobium-DNA wurde aus dem Zahnstein der rund 19.000 Jahre alten "Roten Dame von El Mirón" in Spanien extrahiert. Das 2010 in einer spanischen Höhle entdeckte Skelett stellt den ältesten Nachweis für eine Bestattung während des Magdalénien-Zeitalters auf der Iberischen Halbinsel dar.

Gene in modernen Bakterien eingeschleust

Anschließend haben die Forscher untersucht, welche Aufgaben, die neuentdeckten Gene haben. Sie integrierten dazu die Gene durch den Einsatz hochmoderner biotechnologischer Verfahren in lebende Bakterien, die daraufhin funktionstüchtige Enzyme synthetisierten. Dies stellt den ersten erfolgreichen Versuch dar, solche Techniken auf mehrere zehntausend Jahre alte bakterielle DNA anzuwenden.  

Die reaktivierten Enzyme generieren ihrerseits eine neuartige Gruppe mikrobieller Naturstoffe, die von den Forschenden als Paläofurane bezeichnet wurden.  Wie Martin Klapper erklärt, haben die Forscher damit zum ersten Mal, die in der urzeitlichen Bakterien-DNA kodierten Moleküle synthetisiert.

„Das ist der erste Schritt, um die verborgene chemische Vielfalt der Mikroben der Erdgeschichte zu erschließen. Wir können jetzt beginnen, Milliarden unbekannter alter DNA-Fragmente systematisch in lange verschollene bakterielle Genome aus der Steinzeit einzuordnen.“

Neben neuen Einblicken in die chemische Evolution erhoffen sich die Wissenschaftler davon auch, neue Wirkstoffe für die Entwicklung von Medikamenten zu entdecken.

Science, doi: 10.1126/science.adf5300

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