Robert Klatt
In Deutschland wurde das älteste Fossil einer lebendgebärenden Schlange entdeckt. Das Tier lebte vor 47 Millionen Jahren und war zum Todeszeitpunkt mit mindestens zwei weit entwickelten Jungtieren trächtig.
Frankfurt am Main (Deutschland). Wissenschaftlern des Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum haben in der Grube Messel in der Nähe von Darmstadt 2020 das weltweit älteste Fossil einer Python entdeckt. Zudem fanden die Paläontologen in der Gruppe noch weitere Fossilien, anhand derer sie umfassende Informationen zur Entwicklungsgeschichte von Schlangen erlangen konnten. Wann die ersten Schlangen ihren Nachwuchs lebend zur Welt brachten (Viviparie) anstatt Eier zu legen (Oviparie), war bisher jedoch unbekannt.
Nun haben Wissenschaftler um Mariana Chuliver von der Fundación de Historia Natural und vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen in Ablagerungen der Grube Messel den ältesten fossilen Nachweis einer lebendgebärenden Schlange entdeckt. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin The Science of Nature handelt es sich dabei um eine trächtige, 47 Millionen Jahre alte Boa. Zuvor entdeckten Paläontologen lediglich zwei weitere Fossilien lebendgebärenden Reptilien, unter denen sich aber keine Schlangen befanden.
Das etwa 50 Zentimeter lange Fossil stammt von einer Boa der Art Messelophis variatus, die in der Grube Messel zu den häufigsten fossilen Schlangenarten gehört. Wie Agustín Scanferla erklärt, entdeckten die Wissenschaftler bei der Untersuchung dieses Fossils weitere Knochen von kleineren Schlangen.
„Bei unserer Untersuchung haben wir festgestellt, dass einige der Schädelknochen im Fossil von kleinen, nicht mehr als 20 Zentimeter langen Boas stammen. Diese Knochen liegen ein gutes Stück hinter dem Magen – würde es sich dabei um Beutetiere der Schlange handeln, wären diese so weit hinten im Darm bereits zersetzt und nicht mehr zu erkennen.“
Die weite Entwicklung der Jungtiere belegt, dass die Schlange trächtig war, weil diese zu groß für Eier waren.
Aktuell lebende Reptilien bringen ihre Nachkommen nur in kalten Klimazonen lebend zur Welt, weil die Körpertemperatur des Weibchens den Nachwuchs vor Kälte schützt und konstanter ist. In der Gruppe Messel war es vor 47 Millionen Jahren laut Krister Smith aber nicht kalt.
„Rund um Messel lagen die Durchschnittstemperaturen damals bei etwa 20 Grad Celsius, die Wintertemperaturen fielen nicht unter den Gefrierpunkt.“
Es ist deshalb unklar, wieso die dort lebende Messelophis-Schlange trotzdem trächtig war, anstatt Eier zu legen. Wie Smith erklärt, ist es denkbar, dass neben des Kälteschutzes noch weitere unbekannte Vorteile für das Jungtier existieren.
„Vielleicht werden uns weitere Fossilien aus dieser einzigartigen Fundstelle helfen, dieses Rätsel zu lösen.“
The Science of Nature, doi: 10.1007/s00114-022-01828-3