Robert Klatt
Im Meer vor Japan wurde ein verzweigter Meereswurm entdeckt, dessen Körper sich im hinteren Ende immer wieder teilt.
Göttingen (Deutschland). Die Biologie hat bisher nur zwei Arten verzweigter Meereswürmer beschrieben. Es handelt sich dabei um Würmer mit einem Körper, der sich im hinteren Ende immer wieder verzweigt. Nun hat ein internationales Team unter Leitung der Universität Göttingen im Meer vor der Insel Sado (Japan) eine weitere Art untersucht.
Ursprünglich entdeckt wurde der verzweigte Meereswurm von japanischen Forschern, die daraufhin Fotos an Prof. Dr. Maite Aguado von der Universität Göttingen schickten. Anschließend organisierte Aguado eine Exkursion, um die neuentdeckte Art näher zu untersuchen. Benannt wurde der Wurm Ramisyllis kingghidoahi nach King Ghidorah, dem Erzfeind des Filmmonsters Godzilla. „King Ghidorah ist ein sich verzweigendes fiktives Tier, das seine verlorenen Enden regenerieren kann. Daher dachten wir, dass dies ein passender Name für die neue Art von verzweigendem Wurm sei“ erklärt Aguado.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Organisms Diversity & Evolution leben die verzweigten Würmer in den inneren Kanälen von Meeresschwämmen. Die 1879 auf den Philippinen entdeckte Art Syllis ramosa McIntosh lebt in Tiefsee-Glasschwämmen. Die 2012 im Norden Australiens entdeckte Art Ramisyllis multicaudata sowie die nun in Japan entdeckte Art Ramisyllis kingghidorahi bewohnen hingegen verschiedene Arten von Steinschwämmen in geringen Wassertiefen.
„Wir waren erstaunt, ein weiteres dieser bizarren Lebewesen zu finden. Wir dachten, der erste Wurm sei einzigartig, aber diese Entdeckung zeigt eine größere Vielfalt als erwartet“, erklärt Aguado.
Das interdisziplinäre Team mit Wissenschaftlern aus den Bereichen Morphologie, innere Anatomie, Ökologie, Phylogenie, genetische Divergenz und mitochondriale Genomik konnte anhand der evolutionären Beziehungen zeigen, dass sowohl die in Australien als auch in Japan entdeckten Würmer gemeinsame Vorfahren haben. Sie unterscheiden sich in bei der Körperform und den genetischen Grundlagen jedoch stark voneinander. Dies spricht dafür, dass der asymmetrisch verzweigte Körper von einem gemeinsamen Vorfahren vererbt wurde, der sich damit an das Leben in Schwämmen angepasst hatte.
Die starke Verzweigung des Körpers könnte auf drei Aspekten basieren. Sie erlaubt es dem Wurm während des gesamten Lebens neue hintere Segmente wachsen zu lassen. Dies ist für viele Würmer eine typische Eigenschaft. Außerdem könnte die Verzweigung dem Wurm die Möglichkeit bieten, durch Nachwachsen zu regenerieren oder sich durch Abstoßen von Segmenten fortzupflanzen.
Obwohl verzweigte Würmer seit mehr als einhundert Jahren der Wissenschaft bekannt sind, stellen sie Aguado und ihr Team noch immer vor Rätsel. „Wir verstehen noch nicht, wie die Beziehung zwischen dem Wurm und seinem Wirtsschwamm genau aussieht. Handelt es sich um eine symbiotische Beziehung, von der beide Lebewesen irgendwie profitieren? Und wie schaffen es die Würmer, sich mit ihrem winzigen Mund im Kopf so zu ernähren, dass sie ihre riesigen Körper erhalten können“, erklärt die Biologin.
Organisms Diversity & Evolution, doi: 10.1007/s13127-021-00538-4