Robert Klatt
Chinesische Wissenschaftler haben ein Mischwesen aus menschlichen Stammzellen und Affen-Embryonen gezüchtet. Andere Wissenschaftler bezeichnen das Experiment als ethisch höchst fragwürdig.
Kunming (China). Chimären (Mischwesen) besitzen das Erbgut und die Zellen zweier Arten. In der Natur entstehen solche Lebewesen nur in Ausnahmefällen. Seit den 1970er-Jahren versucht die Forschung aber auch Chimären künstlich zu erzeugen. Dies ist bisher unter anderem mit Kühen, Schafen, Schweinen und Mäusen, die menschliche Zellen oder Organe enthielten, geglückt. Als Durchbruch gilt eine 2012 entwickelte Technik, die es ermöglicht, auch embryonale Chimären von Primaten im Labor zu erzeugen.
In der Wissenschaft sind solche Mensch-Affe-Mischwesen ethisch umstritten, weil die Befürchtung existiert, dass bei einem chimärische Embryonen aus Affe und Mensch ein Mischwesen entstehen könnten, bei dem nicht mehr klar ist, ob es sich um einen Menschen oder ein Tier handelt. Der deutsche Ethikrat stufte diese Art von Chimären deshalb bereits 2011 als unethisch ein. In einigen Ländern wird hingegen weiterhin an der Erzeugung solcher Misch-Embryonen gearbeitet.
Laut einer Mitteilung des Salk Institute for Biological Studies haben Wissenschaftler vom staatlichen Labor für biomedizinische Primatenforschung in China um Tao Tan nun einen Chimären-Embryos aus Mensch und Makake (Macaca fascicularis) erzeugt. Sie nutzten laut ihrer Publikation im Fachmagazin Cell dazu Blastozysten (frühe Affenembryos), in die sie wenige Tage nach der Befruchtung menschliche pluripotente Stammzellen injizierten. Um die weitere Entwicklung und Vermehrung der menschlichen Stammzellen beobachten zu können, markierten sie diese zuvor mit Fluoreszenzgenen.
Die menschlichen Stammzellen wuchsen bei 132 dieser Misch-Embryonen an und waren laut Beobachtungen am nächsten Tag aktiv. In der folgenden Tagen wuchsen die Chimären weiter und die enthaltenen menschlichen Stammzellen hatten Anteile an den ersten Phasen der Differenzierung des Gewebes. Dabei entstanden Zellmischungen aus menschlichen und tierischen Zellen, es kam aber auch zu Gruppierungen von Menschenzellen.
Eine Analyse zeigt, dass die Zellen in den Misch-Embryonen sich im Vergleich zu reine Affen- oder Menschenembryos etwas langsamer entwickeln. Außerdem konnten die Wissenschaftler zuvor unbekannte Interaktionen zwischen den Zellen der beiden Arten beobachten. „Wir haben verschiedene interzelluläre Kommunikationswege detektiert, die entweder ganz neu waren oder in den Chimären deutlich intensiver abliefen. Diese Signale tragen vermutlich dazu bei, die einzigartigen Entwicklungswege der Menschen- und Affenzellen in solchen Chimären-Embryonen zu formen“, erklärt Juan Carlos Izpisua Belmonte.
Nach rund 13. Tagen, an dem Zeitpunkt, an die Embryonen sich in der Gebärmutter einnisten, hatten die menschlichen Zellen einen Anteil von etwa 7,8 Prozent. Die Forscher stellten in dieser Phase aber fest, dass sich die Chimären-Embryonen deutlich langsamer weiterentwickelten als artreine Kontroll-Ansätze. Am 19. Tag des Experiments waren nur noch drei der ehemals 132 Chimären-Embryonen am Leben. Die Wissenschaftler beendeten daraufhin aus ethischen Gründen die Studie.
Trotzdem beurteilen die Forscher ihr Experiment als Erfolg. Die Studie belegt erstmals die erfolgreiche Entwicklung einer Chimäre bis zu diesem Stadium und zeigt damit, dass sich prinzipiell Mischwesen aus Affe und Mensch erzeugen lassen. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, dass sich menschliche Stammzellen in verschiedene Zelltypen entwickeln können, nachdem sie in frühe Blastozysten von Affen eingeschleust wurden“, erklärt Tao Tan.
In Zukunft könnte das in dem Experiment gewonnene Wissen dabei helfen, Organe für die Transplantation in Tieren zu züchten. „Historisch krankte die Erzeugung solcher Tier-Mensch-Chimären an geringer Effizienz und ungenügender Integration der Menschenzellen in die Wirtstierart“, erklärt Izpisua Belmonte. Bei Versuchen, in denen Schweine zur Zucht menschlicher Organe genutzt werden sollten, funktionierte dies nicht, weil sich Schwein und Mensch entwicklungsgeschichtlich stark unterscheiden.
Überdies halten die Forscher solche Chimären für eine valide Möglichkeit zur Erforschung von Krankheiten, für die bisher keine geeigneten Tiermodelle existieren.
„Es ist aktuell noch unbekannt, wie sich chimäre Affe-Mensch-Embryonen nach Übertragung in einen Uterus weiterentwickeln würden. Hier besteht die Möglichkeit, dass echte Mischwesen entstehen, bei denen alle Organe sowohl aus Affen- und menschlichen Zellen bestehen – einschließlich des Gehirns und der Hoden und Eierstöcke“, kommentiert Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum das Experiment.
Experimente mit solchen Mischwesen sind aus ethischer Perspektive also höchst fragwürdig, weil nicht sichergestellt werden kann, dass keine Wesen entstehen, die ein teilweise menschliches Gehirn besitzen oder die gemischte Tier-Mensch-Keimzellen bilden. Eine Erzeugung einer Affe-Mensch-Chimäre wäre mit der von Tan verwendeten Methode in Deutschland aber nicht illegal. Dies liegt daran, dass keine menschlichen Embryonen, sondern Affen-Blastozysten verwendet wurden. „Dem Geist des Embryonenschutzgesetzes widerspricht es meiner Einschätzung aber deutlich“, erklärt Behr.
In einem Gastkommentar kritisieren auch Henry Greely von der Stanford University und Nita Farahany von der Duke University das Experiment. „Die Entdeckung, dass menschliche Zellen in Affen-Blastozysten in nicht-trivialer Anzahl überleben und sich entwickeln, wirft neue ethische Fragen auf, die die Gesellschaft nun diskutieren muss“, schreiben die Wissenschaftler.
Cell, doi: 10.1016/j.cell.2021.03.020