Dennis L.
Bisher wurden Meldungen über Tiere, die Katastrophen vorhersehen, von der Wissenschaft meist als Aberglaube abgetan. Nun haben deutsche Wissenschaftler das Phänomen mittels Bewegungsdaten untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Verhalten von Tieren möglicherweise tatsächlich zur Vorhersage von Erdbeben verwendet werden könnte.
Konstanz (Deutschland). Seit jeher gibt es Berichte über Tiere, die Katastrophen vorhersehen und diese durch unruhiges Verhalten oder das Meiden eines Ortes ankündigen. Bereits im alten Rom wurden der Flug von Vögeln und das Fressverhalten von heiligen Hühnern beobachtet und ausgewertet, um den Ausgang von Schlachten, Wahlen und Senatssitzungen vorherzusagen. Doch gibt es eine wissenschaftliche Grundlage für die Tierbeobachtung zur Katastrophenwarnung?
Ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und des Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz ist dieser Frage in einer norditalienischen Erdbebenregion nachgegangen. Wie sie nun im Fachmagazin Ethology berichten, haben sie sechs Kühe, fünf Schafe und zwei Hunde mit Bewegungssensoren ausgestattet und über mehrere Monate ihr Verhalten beobachtet und ausgewertet. Alle 13 Tiere hatten, laut Angaben ihrer Besitzer, bereits in der Vergangenheit auffälliges Verhalten vor Erdbeben gezeigt.
Um sicher zu gehen, dass es nicht zu einer Verfälschung der Studienergebnisse durch nachträgliche Erwartungshaltungen der Beobachter kam, wurden nicht nur die unmittelbar vor Erdbeben gesammelten Daten ausgewertet, sondern alle Verhaltensänderungen der Tiere im Beobachtungszeitraum festgehalten. Zeitreihenanalytische Methoden der Ökonometrie, wie sie normalerweise zur Analyse des Verhaltens von Investoren im Finanzbereich eingesetzt werden, ermöglichten den Abgleich mit den Daten von 28 im Beobachtungszeitraum tatsächlich aufgetretenen Beben. Dabei wurden Größe, Geschwindigkeit und Art der Tiere, sowie ihre natürlichen Verhaltensänderungen im Tagesablauf berücksichtigt.
Das Ergebnis bestätigt deutliche Verhaltensänderungen der Tiere vor Erdbeben, die umso früher auftraten, umso näher sie sich am Epizentrum des Bebens befanden. Hierbei zeigte sich, dass der Effekt deutlicher war, wenn die Tiere gemeinsam und nicht individuell betrachtet wurden. Im Kollektiv ist die Vorhersagefähigkeit also erhöht. Woran die Tiere die bevorstehenden Beben erkennen ist noch unklar. Derzeitige Theorien sind, dass sie auf Ironisierungen der Luft oder freigesetzte Gase reagieren.
Zur Entwicklung eines auf den neuen Erkenntnissen basierenden Frühwarnsystems werden weitere Daten benötigt, die durch Beobachtung einer größeren Anzahl von Tieren über einen längeren Zeitraum durch das globale Beobachtungssystem Icarus der internationalen Raumstation ISS gewonnen werden sollen.
Die Wissenschaftler stellen sich vor, dass in Zukunft Tiere mit Chips an Halsbändern ausgestattet werden könnten, die ihre Bewegungen an einen Computer melden. Nimmt dieser über einen signifikanten Zeitraum von etwa 45 Minuten deutlich erhöhte Aktivität wahr, würde er ein Alarmsignal aussenden, das Menschen rechtzeitig vor einem Erdbeben warnt.
Ethology, doi: 10.1111/eth.13078