Robert Klatt
Eine Analyse von 38 Hochgebirgsgletschern zeigt, dass diese 10.840 Arten von DNA-Viren konservieren. Weil die Gletscher zunehmend abtauen, könnten die Krankheitserreger womöglich den Menschen infizieren und neue Pandemie auslösen.
Lanzhou (China). Der Permafrost und die Gletscher bestehen aus mehreren tausend Jahren altem Eis und konservieren neben Fossilien auch unterschiedliche Viren und Bakterien. Forscher der University of Chinese Academy of Sciences (UCAS) haben kürzlich etwa im tibetischen Gletschereis eintausend Bakterienarten entdeckt, von denen ein Großteil zuvor unbekannt war. Wissenschaftler der University of Ottawa (U of O) warnen angesichts des Klimawandels, der zum Abtauen der Gletscher führt, davor, dass die freigesetzten Bakterien und Viren neue Pandemien auslösen könnten.
Die Wissenschaft hat bisher aber bisher nicht systematisch untersucht, wie viele Mikroorganismen in den Gletschern der Erde tatsächlich leben. Forscher der Lanzhou University um Yongqin Liu haben laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Bulletin deshalb das Eis, Schnell und Schmelzwasser von 38 Hochgebirgsgletschern analysiert. Die Erkenntnisse sollen unter anderem dabei helfen, mögliche Risiken durch urzeitliche Bakterien und Viren besser abschätzen zu können.
„Dies liefert die erste systematische Charakterisierung der Vielfalt, Funktion und potenziellen Gesundheitsgefährdung durch polare und montane supraglaziale Viren.“
Die Proben enthielten etwa 10.840 Arten von DNA-Viren. Das entspricht dem 15-fachen der zuvor bekannten DNA-Viren. Ein Großteil der Viren war trotz der Lebensbedingungen aktiv und hatte eine Vermehrungsrate, die etwa auf dem Niveau von Viren aus Südwasserseen und den Meeren liegt. Die meisten entdeckten Viren (83 %) sind sogenannte Bakteriophagen, die lediglich Bakterien infizieren und für den Menschen keine Gefahr darstellen. Die Forscher schätzen die Gefahr für die öffentliche Gesundheit deshalb als gering ein.
„Die supraglazialen Viren waren im Vergleich zu Viren aus anderen Lebensräumen hochspezifisch.“
Laut der Studie ist ein Großteil der neuentdeckten Viren aber lysogen. Die Bakteriophagen töten die infizierten Bakterien also nicht sofort, was dazu führen kann, dass Gene der Viren auf die Wirtsbakterien übertragen werden.
„Die supraglazialen Viren haben das genetische Potenzial, die Kälteanpassung, den Stoffwechsel, die Zellmobilität und die phenolische Kohlenstoffverwertung ihrer Wirte unter diesen lebensfeindlichen Bedingungen zu verbessern.“
In den Viren entdeckten die 31 einzigartige Resistenzgenen sowie 1.405 Gene, die Wirkung von Bakterien verstärken können. Werden diese von den Viren auf Bakterien übertragen, können diese dadurch neue Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln und zu stärkeren Krankheitsverläufen führen.
Science Bulletin, doi: 10.1016/j.scib.2023.09.007