Evolutionäre Anpassung

Mikroben nutzen Desinfektionsmittel als Nahrung

Robert Klatt

Bakterien fressen Desinfektionsmitteln )kcotS ebodAacissej(Foto: © 

In Hong Kong wurden unterschiedlichen Mikroben entdeckt, die durch eine evolutionäre Anpassung Desinfektionsmittel als Nahrung nutzen können.

Hong Kong (China). Der Einsatz von Desinfektionsmitteln hat seit der Covid-19-Pandemie deutlich zugenommen. Forscher der City University of Hong Kong (CityU) und der Xi’an Jiaotong-Liverpool University (XJTLU) um Xinzhao Tong haben deshalb untersucht, ob und wie Mikroben auf Desinfektionsmittel, die eigentlich eine sterile Umgebung schaffen sollen, reagieren.

„Unsere Verwendung von Reinigungsprodukten schafft eine einzigartige Umgebung, die selektiven Druck auf Mikroben ausübt, an die sie sich anpassen müssen, um nicht eliminiert zu werden. Aber die Mechanismen, durch die sich Mikroben anpassen und in gebauten Umgebungen überleben, sind nur unzureichend verstanden.“

Laut der Publikation im Fachmagazin Microbiome haben die Forscher anhand der städtischen Umgebungen in Hong Kong untersucht, wie sich Desinfektionsmittel auf Mikroben auswirken. Die Umgebung haben sie gewählt, weil Mikroorganismen dort generell schlechtere Lebensbedingungen haben als in der Natur.

„Gebiete mit vielen Gebäuden sind arm an traditionellen Nährstoffen und essentiellen Ressourcen, die Mikroben zum Überleben benötigen. Daher haben diese gebauten Umgebungen ein einzigartiges Mikrobiom.“

738 Proben aus unterschiedlichen Gebäuden

Die Forscher haben insgesamt 738 Proben aus unterschiedlichen privaten und öffentlichen Gebäuden gesammelt, um zu untersuchen, wie sich das Putzverhalten des Menschen aus die kleinen Lebewesen auswirkt. In den Proben waren 860 verschiedene Mikroorganismen vorhanden, darunter bekannte Bakterienarten wie Micrococcus luteus und Cutibacterium acnes, aber auch 373 unbekannte Bakterienarten.

„Das Mikrobiom der U-Bahn-Luft enthielt die höchste Artenzahl, das Mikrobiom auf der Pieroberfläche war am vielfältigsten und gleichmäßigsten und das Mikrobiom der Haut war am wenigsten vielfältig und am ungleichmäßigsten.“

Eine Genomanalyse der Mikroben zeigt, dass sich diese an ihr Leben in der städtischen Umgebung stark angepasst haben. Ein Teil der Mikroben, darunter auch ein Bakterium, das zuvor nur in der Antarktis entdeckt wurde, nutzt Desinfektionsmitteln sogar als Nahrungsmittel.

„Das Genom dieses Stammes von Eremiobacterota ermöglicht es ihm, Ammoniumionen, die in Reinigungsprodukten enthalten sind, zu verstoffwechseln. Der Stamm hat auch Gene für Alkohol- und Aldehyddehydrogenasen, um Restalkohol abzubauen, der in herkömmlichen Desinfektionsmitteln enthalten ist.“

Laut den Forscher zeigt diese Entdeckung, dass die Gene der Mikroben bereits an das spezielle Nahrungsangebot in der Großstadt angepasst hat und dadurch auch Substanzen konsumieren kann, die normalerweise giftig sind. Die Bakterien haben dadurch einen evolutionären Vorteil und können sich in Hong Kong weit ausbreiten.

„Mikroben, die über verbesserte Fähigkeiten verfügen, begrenzte Ressourcen zu nutzen und hergestellte Produkte wie Desinfektionsmittel und Metalle zu tolerieren, verdrängen nicht-resistente Stämme.“

Gesundheitsgefahren für Menschen?

Wie die Autoren erklären, ist die Evolution der Mikroben für den Menschen nicht prinzipiell gefährlich. Wenn die Bakterien auch in Krankenhäusern leben, könnten sie aber eine Gesundheitsgefahr für die Patienten darstellen, weil sie sich kaum bekämpfen lassen. Die Wissenschaftler wollen deshalb eine weitere Studie durchführen, die untersuchen soll, ob die angepassten Mikroben auch in Krankenhäusern leben.

Microbiome, doi: 10.1186/s40168-024-01926-6

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