Robert Klatt
Mikroben können dank eines sehr schnellen Stoffwechsels thermische Zellschäden permanent reparieren. Dies ermöglicht Leben tief unter dem Meeresboden bei 120 Grad Celsius.
Aarhus (Dänemark). Obwohl mit zunehmender Tiefe weniger Nahrungsquellen und weniger Sauerstoff vorhanden sind und der Druck und die Temperatur zunehmen, leben selbst in den unwirtlichen Bedingungen unter dem Meeresboden noch Organismen. Wissenschaftler der Universität Aarhus haben nun untersucht, wo die Grenze des Überlebbaren liegt und welche Methoden Mikroorganismen nutzen, um sich an die lebensfeindlichen Bedingungen in der tiefen Biosphäre anzupassen.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Communications analysierte das Team um Felix Beulig dazu Sedimentbohrkerne, die in eine Tiefe von bis zu 1.200 Metern in den Meeresboden im Nankai-Graben vor Japan hineinreichen. Weil sich in dieser Region die eurasische und philippinische Platte treffen, sorgt die Plattentektonik dafür, dass in der Tiefe bereits Temperaturen von bis zu 120 Grad Celsius herrschen. Die meisten Proteine denaturieren bereits bei etwa 50 Grad Celsius. Die hohen Temperaturen sind deshalb auch für einfachstes mikrobielles Leben eine große Herausforderung.
„Trotz der hohen Temperaturen konnten wir mikrobielle Zellen fast in der gesamten Sedimentsäule nachweisen, wenn auch in extrem niedrigen Konzentrationen von weniger als 500 Zellen pro Kubikzentimeter in Sedimentschichten mit einer Temperatur oberhalb von 50 Grad Celsius“, erklären die Wissenschaftler
Um zu untersuchen, wie die Mikroben dort überleben können, analysierten die Wissenschaftler ihren Stoffwechsel. „Unsere Ergebnisse belegen, dass in den Millionen Jahre alten Sedimenten bei extremen Temperaturen aktive Mikroorganismen vorkommen, die Sulfat abbauen und Methan produzieren“, erklärt Beulig.
Anschließend analysierten die Forscher mithilfe von hochempfindlichen Messgeräten im Labor die Stoffwechselrate der Mikroorganismen. Dabei entdeckten sie überraschend, dass ihre Stoffwechselrate sehr hoch ist. Ihr Stoffwechsel war trotz der Extrembedingungen und der kaum vorhandenen Biomasse so hoch, wie bei Mikroben aus lebensfreundlichen Oberflächensedimenten. Zuvor bekannte Mikroorganismen aus dem tiefen Meeresboden hatten hingegen einen sehr langsam ablaufenden Stoffwechsel.
„Wir vermuten, dass die Organismen gezwungen sind, einen hohen Stoffwechselumsatz aufrechtzuerhalten, um die Energie bereitzustellen, die zur Reparatur thermischer Zellschäden erforderlich ist“, erklärt Beulig. „Die Energie, die für die Reparatur von thermischen Schäden an Zellbestandteilen benötigt wird, steigt mit der Temperatur steil an, und der größte Teil dieser Energie ist wahrscheinlich notwendig, um der kontinuierlichen Veränderung von Aminosäuren und dem Verlust von Proteinfunktionen entgegenzuwirken“, ergänzt Tina Treude von der University of California Los Angeles.
Die Mikroben nutzten offenbar Acetat, das Salz der Essigsäure, als Energielieferant. „Acetat, ein kleines organisches Molekül, das auch in Essig vorkommt, ist als potenzielle Nahrungsquelle von besonderem Interesse. Acetat erreicht im Porenwasser des Sediments Konzentrationen von mehr als zehn Millimol pro Liter, was für marine Sedimente außergewöhnlich hoch ist“, so Verena Heuer vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen. Gebildet wird Acetat im Lebensraum der untersuchten Mikroben vermutlich durch thermochemische Prozesse, die Biomasse in die energiereichen Moleküle umwandelt.
Weil die Anzahl der Zellen pro Kubikzentimeter Sediment sehr gering war, sicherte die Forschungsgruppe ihre Ergebnisse mit zusätzlichen Kontrollexperimenten ab. Diese sollten sicherstellen, dass die beobachteten Prozesse nicht durch eine Verunreinigung der Proben entstanden sind, sondern dass es sich tatsächlich um biologische Reaktionen handelte. Überdies ermittelten sie die Abbaudauer von Sulfat im Meeresboden und verglichen diese mit Ergebnissen aus anderen Experimenten.
„Angesichts der Tatsache, dass wir zwei sehr unterschiedliche methodische Ansätze vergleichen, die auf Zeitskalen von Tagen bzw. Millionen von Jahren agieren, ist die Übereinstimmung zwischen der experimentellen Ratenbestimmung und der berechneten Abbaudauer erfreulich gut“, erklärt Arthur Spivack von der University of Rhode Island.
Eine DNA-Analyse zur Bestimmung der Art der Mikroben konnten die Wissenschaftler nicht durchführen, weil zu wenig Material in den Proben vorhanden war. Auch die Temperaturgrenze des Lebens, die die Studie ursprünglich ermitteln sollte, konnte mit der vorhandenen Tiefe der Sedimentproben noch nicht ermittelt werden.
„Wir müssen zurückgehen und tiefer bohren. Die endgültigen Grenzen der Biosphäre im Inneren der Erde sind nach wie vor unbekannt. Wie dieses Projekt gezeigt hat, befindet sich die Grenze irgendwo in der ozeanischen Kruste unter den Sedimenten. Sie wird in Zukunft durch wissenschaftliche Meeresbohrungen erforscht werden“, erklärt Yuki Morono von der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology.
„Die Tatsache, dass in der Tiefsee bei diesen hohen Temperaturen Leben mit hohen Stoffwechselraten gedeiht, beflügelt unsere Vorstellung davon, wie sich Leben in ähnlichen Umgebungen auf Planeten jenseits der Erde entwickeln oder überleben könnte“, so Bo Barker Jørgensen.
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-27802-7