Robert Klatt
In China wurde erstmals ein Affenbaby geboren, das aus genetisch veränderten Stammzellen unterschiedlicher Embryonen besteht. In Zukunft könnten die dabei gewonnenen Erkenntnisse Problem mit Spenderorganen lösen und biomedizinische Untersuchungen vereinfachen.
Shanghai (China). Chimären (Mischwesen) sind in der griechischen Mythologie Lebewesen, die sich aus zwei oder mehr Lebewesen zusammensetzen. In unterschiedlichen Länder versuchen Wissenschaftler seit Langem solche Mischwesen zu erzeugen. In China haben Forscher etwa ein Mischwesen aus einem Menschen einem Affen gezüchtet, das aber nicht geboren wurde. Überdies haben Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) kürzlich entdeckt, dass Männchen der Gelben Spinnerameisen (Anoplolepis gracilipes) echte Chimären sind, die nicht den grundlegenden Gesetzen der biologischen Vererbung folgen.
In China wurde nun erstmals ein lebendes Affenmischwesen geboren. Die Wissenschaft hat zuvor solche Erfolge nur mit Mäusen und Ratten erzielt. Die Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) um Zhen Liu haben laut ihrer Publikation im Fachmagazin Cell die Chimäre aus Stammzellen genetisch unterschiedlicher Embryonen „zusammengesetzt“.
Die Stammzellen wurden Embryonen sieben Tage nach der Befruchtung entnommen. Anschließend wurden die Zellen genetisch so modifiziert, dass sie ein grün fluoreszierendes Protein produzieren. Diese Modifikation ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Entwicklung und Differenzierung der Zellen zu verfolgen, nachdem sie in einen anderen Affenembryo transferiert wurden. Dieser Vorgang fand bei Embryonen statt, die lediglich aus 16 oder 32 Zellen bestanden.
Die in die Embryonen injizierten Stammzellen vermehrten sich zunächst. Im weiteren Entwicklungsverlauf kam es oft zu einem Absterben. Die Forscher spekulieren, dass dies möglicherweise auf einen Konkurrenzkampf zwischen den ursprünglichen Embryonenstammzellen und den hinzugefügten Stammzellen zurückzuführen ist.
Die Forscher haben insgesamt 206 Stammzellinjektionen durchgeführt. Von diesen entwickelten sich nur zwölf Embryonen so weit, dass eine Einpflanzung in Affenweibchen möglich war. Unter den sechs daraus resultierenden lebend geborenen Affen zeigte lediglich einer Chimärenmerkmale, verstarb jedoch nach nur zehn Tagen. Zudem wurde ein Fötus, der aus einer Fehlgeburt resultierte, mit chimären Eigenschaften identifiziert.
Im überlebenden Affenjungen war eine Mischung aus ursprünglichen Embryonalstammzellen und den injizierten Stammzellen in den verschiedenen Körpergeweben zu beobachten. Die Zellen, die das grün fluoreszierende Protein trugen, machten zwischen 21 und 92 Prozent aus, im Mittelwert lagen sie bei 67 Prozent. Die Forschung umfasste die Analyse von 26 verschiedenen Gewebearten, darunter Zellgruppen aus Gehirn, Herz, Niere, Leber und dem Magen-Darm-Trakt. Ebenfalls wurden im Hoden und in der Plazenta des Affennachwuchses zahlreiche Zellen identifiziert, die aus den injizierten Stammzellen hervorgegangen waren.
Laut den Forscher der CAS könnten Chimären dabei helfen, biomedizinische Untersuchungen zu vereinfachen. Die Studie mit Javaneraffen (Macaca fascicularis) eröffnete überdies neue Erkenntnisse zu pluripotenten Stammzellen bei Primaten, einer Gruppe, zu der auch der Mensch zählt. Pluripotente Stammzellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Potenzial besitzen, sich in jede Zellart des Körpers zu entwickeln.
Zhen Liu von der CAS bezeichnet den Erfolg deshalb als Meilenstein. Dies bestätigt auch Stefan Schlatt vom Universitätsklinikum Münster (UKM), der nicht an der Studie beteiligt war.
„Dies muss als grundlegender wissenschaftlicher Durchbruch betrachtet werden. Gleichzeitig zeigt das Ergebnis, dass die Nachkommen ungesund sind und nicht mehr als ein paar Tage überleben können.“
Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum - Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen sieht vor allem in zwei Bereichen zukünftige Anwendungschancen, nämlich in der Generierung von Organen aus menschlichen Zellen in Tieren und der Entwicklung neuer Therapieansätze.
Laut Behr könnten insbesondere in chimären Schweinen Organe aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden. Diese könnten die Knappheit bei Spenderorganen reduzieren. Zudem könnten die Ergebnisse der aktuellen Studie in genetischen Forschungsprojekten von Bedeutung sein, wo die Modifikation des Erbguts von Tieren oft komplex und ineffizient ist. Mit den neuen Erkenntnissen könnte es sein, diesen Prozess der genetischen Modifikation von Tieren in die Stammzellkultur zu verlagern.