Robert Klatt
Chimären sind Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Nun haben Forscher entdeckt, dass männliche Gelbe Spinnerameisen (Anoplolepis gracilipes) echte Chimären sind, die nicht den grundlegenden Gesetzen der biologischen Vererbung folgen.
Mainz (Deutschland). Die Chimäre, auch bekannt als Chimaira oder Chimära, stammt aus der griechischen Mythologie und bezeichnet ursprünglich ein fabelhaftes Mischwesen. Der Begriff leitet sich von dem altgriechischen Wort Chíaira ab, was wörtlich Ziege bedeutet. Im Laufe der Zeit wurde die Verwendung des Begriffs Chimäre jedoch ausgeweitet und dient nun als allgemeine Bezeichnung für jegliche Art von Mischwesen, die aus den verschiedenen Elementen anderer Kreaturen oder Wesen zusammengesetzt sind.
Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun echte Chimären entdeckt. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science hat das Team um Dr. Hugo Darras die Gelbe Spinnerameise (Anoplolepis gracilipes), die zu den global verheerendsten invasiven Arten gehört, untersucht. Die Studie hat sich auf den einzigartigen Fortpflanzungsprozess der Ameisenart konzentriert, die die Wissenschaft besonders bei den männlichen Exemplaren schon lange Rätsel aufgibt.
„Die Ergebnisse früherer genetischer Analysen der Gelben Spinnerameise haben gezeigt, dass die Männchen dieser Art zwei Kopien jedes Chromosoms besitzen. Dies war äußerst unerwartet, da Männchen bei Ameisen, Bienen und Wespen üblicherweise aus unbefruchteten Eiern entstehen und daher nur eine mütterliche Kopie jedes Chromosoms haben sollten. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, dieses rätselhafte Phänomen zu untersuchen.“
Die Ergebnisse haben die Forscher überrascht. Bisher wurde angenommen, dass die Männchen der Gelben Spinnerameise in allen Körperzellen die gleichen zwei Chromosomensätze tragen. Diese Annahme ist jedoch laut den neuen Untersuchungen nicht korrekt.
„Wir haben entdeckt, dass die männlichen Ameisen mütterliche und väterliche Genome in verschiedenen Zellen ihres Körpers haben und somit Chimären sind. Anders ausgedrückt, alle Männchen haben zwei Genome, aber jede Zelle ihres Körpers enthält nur eines der beiden Genome.“
Normalerweise enthält bei einem vielzelligen Lebewesen jede Zelle identisches genetisches Material. Die Autoren kommen deshalb zu dem Schluss, dass männliche Gelbe Spinnerameisen Chimären sein müssen, die aus befruchteten Eiern, in denen die beiden elterlichen Geschlechtszellen nicht verschmelzen, entstehen. Stattdessen teilen sich die mütterlichen und väterlichen Kerne separat innerhalb desselben Eis, was bedeutet, dass die resultierenden erwachsenen Männchen beide elterlichen DNA-Sequenzen haben, jedoch in verschiedenen Körperzellen.
Wenn die Gameten (Geschlechtszellen) verschmelzen, entwickelt sich aus dem Ei je nach genetischer Information, die das Spermium trägt, entweder eine Königin oder eine Arbeiterin. Welche Mechanismen bestimmen, ob eine Verschmelzung der elterlichen Gameten stattfindet oder nicht, ist bisher unbekannt.
„Im Gegensatz zu diesen bekannten Fällen resultiert der Chimärismus bei der Gelben Spinnerameise nicht aus der Verschmelzung zweier getrennter Individuen oder einem Zellenaustausch zwischen ihnen. Stattdessen hat dieser Prozess seinen Ursprung in einem einzigen befruchteten Ei. Dies ist einzigartig.“
Daher scheint die Entwicklung der männlichen Gelben Spinnerameise eines der grundlegenden Gesetze der biologischen Vererbung zu verletzen, nachdem alle Zellen eines Individuums das gleiche Genom enthalten sollten.
Science, doi: 10.1126/science.adf0419