Robert Klatt
Schimpansen behandeln offene Wunden mit Insekten, die sie als Medikament nutzen. Ein solches Verhalten wurde zuvor bei Menschenaffen oder anderen Tieren noch nicht beobachtet.
Osnabrück (Deutschland). Wissenschaftler der Universität Osnabrück haben bei Beobachtungen im Loango Nationalpark in Gabun entdeckt, dass Schimpansen Insekten als Medikament verwenden. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Current Biology beobachtete das Team um Alessandra Mascaro eine dort lebende Gruppe aus 45 Tiere für 15 Monate. Während dieser Zeit kam es zu 22 Fällen, in denen die Affen offene Wunden mit Fluginsekten behandelten. Ein solches Verhalten wurde zuvor bei Menschenaffen oder anderen Tieren noch nicht gesehen.
„Die Schimpansen fingen sich ein fliegendes Insekt aus der Luft oder von Blättern und zerdrückten es mit ihren Lippen. Das flachgedrückte Insekt platzierten sie mit den Fingern oder dem Mund auf der offenen Wunde und bewegten es dort mit den Fingerspitzen hin und her. Mit dem Mund oder den Fingern lösten die Schimpansen das Insekt dann wieder aus der Wunde und wiederholten den Vorgang des zwischen die Lippen Pressens und auf die Wunde Applizierens mehrmals“, erklärt Mascaro.
Wie Wissenschaftler beobachteten, dass die Schimpansen nicht nur ihre eigenen Wunden, sondern auch Wunden ihrer Artgenossen auf diese Weise behandeln. „Ein adultes Männchen, Littlegrey, hatte eine tiefe Wunde am Schienbein. Das Weibchen Carol, das ihn gerade lauste, fing daraufhin ein Insekt und reichte es ihm“, nennt Lara Southern als Beispiel. Anschließend kamen zwei weitere Schimpansen hinzu, die ihren Artgenossen ebenfalls versorgten.
„Die drei nicht verwandten Schimpansen führten dieses Verhalten einzig zum Wohle ihres Gruppenmitglieds durch“ schlussfolgert Southern. Es handelt sich dabei um eine weitere Form des prosozialen Verhaltens bei Tieren. Dies ist laut Simone Pika atemberaubend, weil viele Personen behaupten, dass nur der Mensch prosoziale Fähigkeiten besitzt.
Außerdem zeigen die Beobachtungen, dass das medizinische Verhalten bei Tieren deutlich weiterreichen könnte als die Forschung bisher angenommen „Es ist faszinierend, dass uns Schimpansen trotz jahrzehntelanger Forschung immer wieder mit neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten überraschen. Unsere Studie zeigt eindrücklich, dass es noch so vieles über unsere nächsten Verwandten zu entdecken gibt und dass wir uns viel intensiver für ihren Schutz und den Schutz ihrer Lebensräume einsetzen müssen“, konstatiert Tobias Deschner, Direktor der Ozouga-Station in Gabun.
Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.12.045