Robert Klatt
Wissenschaftler haben mit dem DNA-Barcoding tausende unbekannte Insektenarten (Dark Taxa) in Bayern entdeckt.
München (Deutschland). Die Wissenschaft hat bisher nur einen Bruchteil der globalen Tier- und Pflanzenarten erfasst. Einen Überblick über die 2,2 Millionen bekannten Spezies gibt es kürzlich veröffentlichten Baum des Lebens. Nun haben Forscher der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) im Rahmen des nationalen DNA-Barcoding-Projekts „German Barcode of Life III“ (GBOL III) eine große Anzahl neuer Insektenarten entdeckt und damit belegt, dass auch die stark vom Menschen geprägte Kulturlandschaft Mitteleuropas noch unbekannte Tierarten beheimatet.
„Rund 33.000 Insektenarten sind in Deutschland bekannt, davon gehören rund zwei Drittel zu den Zweiflüglern (Dipteren) oder den Hautflüglern“, erklärt Caroline Chimeno. Vor allem bei den Dipteren, dies sind Fliegen und Mücken, ist das volle Artenspektrum aber noch nicht erforscht. Dies liegt daran, dass die kleinen Mücken- und Fliegenspezies mit einer Körperlänge von unter zwei Millimeter nur schwer anhand ihres Äußeren bestimmt werden können.
In der Biologie kommen deshalb vermehrt genetische Methoden der Bestimmung zum Einsatz, darunter etwa das DNA-Barcoding. Diese Methode bestimmt Sequenzen von Genen der Proben und vergleicht sie mit einer Datenbank. Eventuelle Übereinstimmungen zeigen dann, ob es sich um eine bereits bekannte oder eine zuvor unbekannte Tierart handelt. Im Rahmen einer DNA-Barcoding-Studien entdeckte Tierarten, die neue DNA-Sequenzen für die Datenbank liefern, bezeichnet man in der Forschung als Dark Taxa (Dunkle Arten).
Das Projekt „German Barcode of Life – GBOL III: Dark Taxa“ hat das Ziel, solche noch unbekannten Arten zu finden und zu erfassen. Es soll so eine Datenbank erschaffen werden, mit der jedes Tier in Deutschland bestimmt werden kann. Das Team um Chimeno hat dazu in Bayern ein DNA-Barcoding von Fliegen und Mücken durchgeführt.
Im Zeitraum von sechs Jahren fingen sie dafür an verschiedenen Standorten der Allgäuer Alpen, im Bayerischen Wald und in München Insekten mit Flugfallen. Anschließend analysierten sie laut ihrer Publikation im Fachmagazin Insects die DNA von rund 48.000 gefangenen Tieren.
Die Hälfte der dabei ermittelten DNA-Sequenzen gehört zu Dipteren-Arten, die zuvor unbekannt waren. Besonders viele der unbekannten Tiere stammten aus den Familien der Zuckmücken (Chironomiden), Gallmücken (Cecidomyiidae), Buckelfliegen (Phoridae) und Trauermücken (Sciaridae), die als potenziell untererforscht gelten. „Die Gallmücken waren ein besonders dramatischer Fall: Allein von ihnen entdeckten wir 1163 neue Barcode-Indexzahlen (BINs), das entspricht einem Viertel aller Dipteren-BINs“, erklären die Wissenschaftler.
„Der hohe Anteil unentdeckter Artenvielfalt in einem vermeintlich gut untersuchten Land hat uns überrascht. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass es viel mehr Insektenarten bei uns gibt, als wir kennen“, so Stefan Schmidt von der Zoologischen Staatssammlung München. Besonders in Hinblick auf den globalen Rückgang der Insekten ist es laut den Autoren deshalb umso wichtiger, die Arten zu erforschen. „Mit „GBOL III: Dark Taxa“ schaffen wir eine wichtige wissenschaftliche Grundlage, um den Rückgang der Insekten insgesamt in Deutschland besser zu verstehen“, konstatieren die Forscher.
Insects, doi: 10.3390/insects13010082