Robert Klatt
In einem eher unscheinbaren Stein könnten sich die Überreste einiger Tiefseeschwämme befinden. Falls diese so alt sind wie von einigen Wissenschaftlern vermutet, wären es die ältesten Tierfossile aller Zeiten.
Mackenzie Mountains (Kanada). Als Elizabeth Turner 1992 auf einer Expedition durch die kanadischen Mackenzie Mountains unterwegs ist, findet sie einige Steine, die äußerst auffällige Rillen aufweisen. Turner ist Erdkundlerin und vermutet, dass es sich bei den Steinen um Fossile handeln könnte. Da die Forschung auf diesem Gebiet zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sonderlich weit ist, verschwinden die mutmaßlichen Fossile für einige Jahre in den Schränken Turners.
2007 veröffentlichen kanadische Forscher eine Studie, in welcher sie aufzeigen, dass Schwämme als Fossilien in Kalkstein präserviert werden können. Schwämme sind vielzellige Lebewesen, die in jedem Meer vorkommen. Einige Arten leben sogar im Süßwasser. Schwämme können von wenige Millimeter bis zu mehreren Metern groß werden. Manche Exemplare werden über drei Meter hoch. Schwämme besitzen keine Organe, Neuronen, Muskel-, Nerven- oder Sinneszellen, aber verfügen über ein spezielles Skelett.
Als Turner von der neuen Studie erfuhr, holte sie ihre gefundenen Steine wieder hervor. Das Kalkgestein, in welchem sich die merkwürdigen Röhren befanden, konnte schnell auf etwa 890 Millionen Jahre datiert werden. Doch waren die Rillen tatsächlich Fossile von Schwämmen, oder handelte es sich um die Überreste eines Einzellers? Elizabeth Turner behauptet in einer Studie, welche sie im Fachmagazin Nature veröffentlichte, dass es sich um Schwämme handelt. Doch viele Wissenschaftler bleiben skeptisch.
Bisher wird vermutet, dass Schwämme für 540 Millionen Jahren entstanden. Damit waren sie eines der ersten Tiere der Erden. Vorher war es für Lebewesen schwierig auf der Erde zu leben, denn es existierte kaum Sauerstoff in der Luft. Erst vor 800 bis 540 Millionen Jahren stabilisierte sich die Lage und der Sauerstoffgehalt stieg auf 10 bis 50 % des heutigen Levels. Wenn Turners Vermutungen stimmen, hätten die Schwämme also bereits zu Zeiten von äußerst wenig Sauerstoff gelebt. Zudem verfügen die gefundenen Fossile nicht über Rückstände von schwammtypischen Skeletten, sogenannten Skleriten. Turner argumentiert damit, dass es moderne Schwammarten gibt, die ebenfalls kein arttypisches Skelett besitzen und auch mit sehr wenig Sauerstoff überleben können.
Auch das Wasser, in dem die angeblichen Schwämme gelebt hätten, hätte nur einen sehr geringen Sauerstoffgehalt gehabt. Die Mackenzie Mountain, in welchen Turner die Steine fand, waren vor vielen Millionen Jahren größtenteils von Wasser bedeckt. In dem sogenannten Little Dal Riff lebten zahlreiche Tiere, vielleicht auch die gefundenen Schwämme. Über eine Zeit von mehreren Millionen Jahre stiegen viele Landmassen auf, die vorher von dicken Eisschichten bedeckt waren und deshalb in die Erdkruste gedrückt wurden. Dieser Prozess wird als postglaziale Landhebung bezeichnet. Besonders in Kanada und Sibirien führte dies dazu, dass manche Landmassen um mehr als 300 Meter anstiegen. Dadurch wurden die Ozeane kleiner und Fossile von aquatischen Lebewesen sind heute in den kanadischen Bergen zu finden.
Trotz der ausführlichen Studie Turners bleiben viele Wissenschaftler skeptisch. Jonathan Antcliffe, ein Schweizer Paläobiologe, der nicht in der Studie beteiligt war, schrieb etwa: „Alles, was wir über die Erdgeschichte wissen, zeigt uns, dass die ersten Lebewesen vor etwa 540 bis 550 Millionen Jahren entstanden. Um diese gigantische Beweislage zu verändern, benötigt es mehr als Aussagen wie „das könnte ein Schwamm sein“.
Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03773-z