Robert Klatt
Durch einen Fermentationsprozess nachdem Vorbild von Bakterien kann aus Grünalgen Zucker hergestellt werden. Schon bald sollen auch Bioethanol, Bioplastik und Biogas aus den Algen erzeugt werden.
Greifswald (Deutschland). Wien (Österreich). Kürzlich wurde bekannt, dass der jährlich im Atlantik entstehende Algenteppich aufgrund des steigendes Nährstoffgehalts des Ozeans und der höheren Durchschnittstemperaturen 2018 eine Ausdehnung von Westafrika bis zum Gold vom Mexiko erreicht hat. Prognosen gehen davon aus, dass 2019 im Hochsommer die Rekord-Ausbreitung des vergangenen Jahres erneut überboten wird.
Die Algenblüte, also die plötzliche massenhafte Ausbreitung, ist besonders deshalb gefährlich für die Umwelt, da die Pflanzen nachdem Sterben auf den Bodengrund absinken und dort während des Verwesens große Mengen Sauerstoff verbrauchen, die die Umgebung für andere Lebewesen unbewohnbar macht. Auch an Stränden sorgen Algen für Probleme, da die Verwesung Schwefelwasserstoff freisetzt, der auch für Menschen giftig ist.
Wissenschaftler der TU Wien haben gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Greifswald eine Methode entwickelt, die das zunehmende Algenproblem lösen könnte. Laut der im Fachmagazin Nature Chemical Biology publizierten Forschungsarbeit kann die Biomasse der Algen in Zukunft dazu genutzt werden, um eine Reihe verschiedener Rohstoffe daraus zu erzeugen.
Die Wissenschaftler haben sich dabei auf die Grünalgen-Gattung Ulva konzentriert, von der an der französischen Atlantikküste jährlich etwa 100.000 Tonnen entstehen. Um eine Methode zu finden, die aus diesen Algen eine nutzbare Ressource macht, haben die Wissenschaftler sich am Bakterium Formosa agariphila orientiert, das gemeinsam mit den Grünalgen im Meer auftritt. Beobachtungen zeigten, dass das Bakterium das komplexe Kohlenhydrat Polysaccharid Ulvan abbaut.
Christian Stanetty von der TU Wien erklärt, dass das Bakterium Polysaccharide bis zu Monosacchariden runterbricht, die es dann nutzt, um Energie zu erzeugen, oder wieder zu bakterieneigenen Produkten aufbaut, um zu wachsen.“
Der Abbauprozess geschieht in mehreren Schritten, in denen die Bakterien zwölf Enzyme einsetzen, die das komplexe Kohlenhydrat immer weiter zerlegen. Mithilfe der Kernspinresonanz-Spektroskopie und Massenspektrometrie haben die Forscher der TU Wien analysiert, wie die einzelnen Bestandteile der unterschiedliche Zerlegungsschritte aussehen. Die Beobachtungen waren, wie Stanetty erklärt „überraschend“, da die Bakterien den Zuckers anders abbauen als zuvor von den Wissenschaftlern vermutet.
In Zukunft soll aus der Beobachtung der Bakterien ein technischer Fermentationsprozesse entwickelt werden mit der die gigantische Biomasse der Algen im industriellen Ausmaß umgewandelt werden kann. Anfangs soll sich so zwar nur Zucker erzeugen lassen, ein „näheres Verständnis der Chemie“ wird es laut Marko Mihovilovic von der TU Wien aber auch möglich machen aus den Algen Bioplastik, Biogas oder Bioethanol zu erzeugen.
Nature Chemical Biology, doi: 10.1038/s41589-019-0311-9