Robert Klatt
Osmosekraftwerke, die die sogenannte „Blaue Energie“ nutzen, könnten dank einer neuen Membran bis zu 2.000 Atomkraftwerke ersetzen.
Stanford (U.S.A.). Laut dem Umweltbundesamt (UBA) lag der Anteil der Wasserkraft an der globalen Stromproduktion im Jahr 2011 bei 16 Prozent. Erzeugt wird der Strom dabei durch die Bewegungsenergie des Wassers, die genutzt wird, um Generatoren anzutreiben. Außerdem wurde bereits in den 1950er Jahren die sogenannte Osmose-Energie entdeckt, die auch als „Blaue Energie“ bekannt ist. Das natürliche Phänomen findet man in der Umwelt wo sich salzarmes auf salzreiches Wasser vermischen, also zum Beispiel dort, wo Flüsse in das Meer münden. Um den Salzgehalt auszugleichen, bewegen sich Salzmoleküle beim Vermischungsprozess ganz von allein. Dabei werden pro Liter Süßwasser, das sich mit Salzwasser vermischt, bis zu 2,2 kJ Energie freigesetzt.
Erste Forschungsansätze für Kraftwerke, die diesen klimaneutralen Prozess zur Stromproduktion nutzten können, wurden bereits in den 1970er Jahren vorgestellt. Der Betrieb des ersten Osmosekraftwerk-Prototyps, der 2009 in Norwegen an das Stromnetz angeschlossen wurde, wurde aber nach nur vier Jahren wiedereingestellt. Begründet wurde dies durch die im Vergleich zu Kohle- und Atomkraftwerken hohen Installations- und Betriebskosten, die Osmosekraftwerke bisher aus ökonomischen Gesichtspunkten unattraktiv machen.
Traditionelle Osmosekraftwerke bestehen aus zwei voneinander durch eine semipermeable Membran getrennte Wasserbecken. Beim Übergang von Süßwasser zum Salzwasser durch die Membran steigt der Druck im Salzwasserbecken an und die Energie wird genutzt, um damit eine Turbine anzutreiben. Die Mischungsentropie-Batterie, die Wissenschaftler der Universität Stanford kürzlich im Fachmagazin ACS Omega vorgestellt haben, hat ein anderes Funktionsprinzip und benötigt wie die Studienleiter Kristian Dubrawski erklärt weder eine wartungsintensive Membranen noch Stromturbinen.
Die Mischungsentropie-Batterie der Universität Stanford basiert auf zwei Elektroden, von denen eine aus dotiertem Polypyrrol und eine aus dem Farbpigment Berliner Blau besteht. Zur Stromerzeugung wird die Batterie zyklisch mit Süßwasser und Meerwasser gefüllt. Dabei fließen elektrische geladene Salzteilchen aus den Elektroden hinaus und wieder hinein. Ein äußerer Stromkreis ermöglicht es, die dabei freigesetzte elektrische Energie in das Stromnetz einzuspeisen.
Ein Praxistest der Mischungsentropie-Batterie mit Meerwasser einer Bucht bei San Francisco und gereinigtem Abwasser einer Kläranlage in Palo Alto verlief erfolgreich. Laut Dubrawski „sind Kläranlagen in Küstennähe ein guter Ausgangspunkt, um die Technologie zu etablieren.“ Wie die Wissenschaftlerin erklärt, können Mischungsentropie-Batterie den Strombedarf dieser Kläranlagen vollständig decken.
Insgesamt sehen die Forscher auf der Erde Potenzial, um jährlich 625 Terawattstunden Strom an Flussmündungen mit Mischungsentropie-Batterien herzustellen. Dies entspricht etwa drei Prozent des Strombedarfs der Weltbevölkerung. Ein großer Vorteil im Vergleich zur Wind- und Solarenergie liegt laut den Entwicklern der Mischungsentropie-Batterie aus darin, dass diese unabhängig von Tageszeit, Wetter und Jahreszeit funktioniert. Dubrawski fügt jedoch hinzu, dass „die Leistungsdichte noch um eine Größenordnung gesteigert werden müsste, damit die Batterie für kommerzielle Anwendungen attraktiv wird."
Forscher der Rutgers University in Piscataway haben nun im Fachmagazin Science eine Nutzungsmöglichkeit mit noch mehr Potenzial als die Mischungsentropie-Batterie der Universität Stanford vorgestellt. Französische Wissenschaftler, die an der aktuellen Studien nicht beteiligt waren, haben bereits im Jahr 2013 herausgefunden, dass Ionen-Potenziale sich mit Boron-Nitride-Nanoröhrchen (BNNT) effektiv nutzen lassen. Berechnungen kamen damals zu dem Ergebnis, dass eine nur ein Quadratmeter große BNNT-Membran 30 Megawatt-Stunden Strom pro Jahr erzeugen kann. Dies entspricht etwa dem Stromverbrauch von 400 Haushalten. Experimente, die dieses enorme Potenzial belegen sollten, wurden allerdings nur mit einzelnen Nanoröhrchen durchgeführt, weil es den Wissenschaftler nicht gelungen ist, eine großflächige Membran daraus herzustellen.
Einen Weg dafür haben die Wissenschaftler der Rutgers University nun gefunden, in dem sie die BNNT um Eisenatome ergänzen. Anschließend ist es möglich mit Hilfe eines Magneten die Nanoröhrchen korrekt auf der Membran anzuordnen. Im letzten Schritt werden die Öffnungen der Nanoröhrchen mit einem Plasmabrenner wieder frei gebrannt. Die so erzeugte BNNT-Membran konnte in Experimenten die 8000-fache Leistung eines einzelnen BNNT erzeugen. Derzeit arbeiten aufgrund des noch nicht ausgereiften Verfahrens nur etwa zwei Prozent der BNNT-Membran. Weitere Verbesserungen des Herstellungsverfahrens können die Leistung der BNNT-Membran also noch deutlich steigern.
Osmosekraftwerke, die die Membran nutzen, könnten laut den Wissenschaftlern bis zu 2,6 Terawatt Strom pro Jahr erzeugen, wenn die gesamten 7.000 Kubikkilometer Süßwasser, die jährlich in die Meere fließen, zur Stromerzeugung genutzt würden. Dies entspricht etwa der Stromproduktion von 2.000 durchschnittlichen Kernkraftwerken.
ACS Omega, doi: 10.1021/acsomega.9b00863