Dennis L.
Sexspielzeuge haben heute eine sehr große Verbreitung und Vielfalt erlangt. Ferner spielen sie eine tragende Rolle hinsichtlich sexueller Emanzipation. Ihre Geschichte reicht jedoch deutlich weiter zurück als zur sexuellen Revolution der 1960er und 1970er.
Sexspielzeug, Sextoys, Erwachsenenspielzeug. Egal wie man das Produkt nennen mag, es hat mittlerweile in vielen westlichen Staaten enorme Verbreitung und Nutzung erfahren. Die recht aktuelle Studie Experiences with Diverse Sex Toys Among German Heterosexual Adults: Findings From a National Online Survey hat dies für den deutschen Raum untersucht.
Ihr zufolge werden nutzen 52 Prozent der Befragten derartige Helfer im Rahmen von partnerschaftlichem Sex. 45 Prozent verwenden sie im Rahmen von Solo-Masturbation.
Weitere Einblicke gibt die eine von PSB Insights durchgeführte Studie. Ihr zufolge haben mehr als die Hälfte der Deutschen Erfahrungen mit diesen Spielzeugen.
Die Gründe für diese enorme Verbreitung liegen in einer Mischung aus drei Faktoren. Sie umfassen sowohl die heute umfassende anonyme/pseudonyme Verfügbarkeit über das Internet als auch eine seit Jahren andauernde gesellschaftliche Enttabuisierung von Sexualität im Allgemeinen und Selbstbefriedigung bzw. Spielzeugnutzung im Besonderen – wenngleich die Studie What Drives Sex Toy Popularity? A Morphological Examination of Vaginally-Insertable Products Sold by the World’s Largest Sexual Wellness Company u.a. über einen weiterhin (niedrigschwellig) vorhandenen Grad von Stigmatisierung berichtet.
Der dritte Punkt ist die Technisierung: Lange Zeit waren Sexspielzeuge äußerst simpel gehalten. Seit etwa dem Beginn der 2010er hingegen kamen Stücke auf den Markt, hinter denen teils wissenschaftliche Methoden stecken. Was früher angesichts der Aufblasbarkeit eher komisch denn erregend wirkte, ist heute eine lebensechte Silikon-Sexpuppe – mitunter sogar über integrierte Elektromotoren bewegt.
Und was einst lediglich vibrieren konnte, kann heute als Druckwellenvibrator saugen – anatomisch so gestaltet, dass die weibliche Klitoris dabei in Gänze umfasst und dadurch umfangreich stimuliert wird.
Derartige Entwicklungen konnten nur deshalb erfolgen, weil zuvor bereits verschiedene Grundlagenarbeiten getätigt wurden. Tatsächlich beginnt die Geschichte der Sexspielzeuge bereits sehr lange, bevor das Thema Feminismus und sexuelle Befreiung einen gesellschaftlich relevanten Stellenwert bekam.
Seitdem der Mensch existiert, betreibt er Selbstbefriedigung. Was über lange Zeit nicht nachgewiesen werden konnte, stand jedoch als logische Herleitung, unter anderem über das Verhalten von Primaten, stets als feste wissenschaftliche These im Raum. Mittlerweile wurde durch eine umfassende Veröffentlichung der Royal Society auch der abschließende Nachweis evolutionärer Gründe dafür erbracht.
Damit steht eine weitere schlüssig klingende These im Raum: Es ist bekannt, dass der Mensch seit seinen Frühtagen eine Reihe von Werkzeugen gebrauchte. Daher klingt es definitiv nicht zu abwegig, dass diese Nutzung auch die Selbstbefriedigung umfasste. Beispielsweise könnten von Natur aus recht glatte Knochen in passendem Format dafür genutzt worden sein oder mithilfe anderer Werkzeuge passend geglättete Holzstücke. Unter anderem wird bei diversen Loch- bzw. Kultstäben aus dem Jungpaläolithikum und Mesolithikum diskutiert, ob diese (auch) für derartige Zwecke Verwendung fanden.
Sehr wahrscheinlich ist eine Nutzung als Sexspielzeug bei einem eindeutig phallischen Objekt, das 2005 in der Karsthöhle Hohler Fels in Baden-Württemberg entdeckt wurde. Es wird auf zirka 26.000 Jahre vor der Zeitenwende datiert. Ähnliche Funde von Gegenständen, die ebenfalls sehr eindeutig wie ein Penis-Dildo oder gar Doppeldildo geformt sind, gibt es aus verschiedenen anderen Regionen.
Eine tatsächlich nachgewiesene Nutzung von Sexspielzeugen entspringt jedoch erst um das Jahr 3.000 v.Chr. erstellten Wandmalereien in Ägypten. Hierauf sind sogar bereits verschiedene Sexualpraktiken mit diesen Hilfsmitteln zu erkennen. Im alten Griechenland wurden diese Gerätschaften zudem erstmals explizit als „Spielzeuge“ bezeichnet.
Jedoch: Es ist nicht immer bekannt, ob es dabei ausschließlich – wie heute – nur um das Vergnügen an der Selbstbefriedigung ging. Zur Diskussion steht ebenso eine (teilweise) Verwendung im Rahmen von Deflorationsritualen und als Folter- bzw. Strafinstrument.
Insbesondere in Italien und China ab etwa dem ausgehenden Mittelalter scheint es eine überraschend große Verbreitung von Sexspielzeugen gegeben zu haben. Genauer: Phallusförmige Objekte aus verschiedenen Materialien wie
und ähnlichen Optionen. Das Anfang der 1590er von Thomas Nashe verfasste Werk „The Choise of Valentines“ beschreibt nicht nur explizit die Verwendung eines Dildos, sondern benennt diesen auch erstmalig so. Ebenfalls finden derartige Spielzeuge eine Erwähnung im um 1610 entstandenen Shakespeare-Werk „The Winter’s Tale“.
Interessanterweise befassen sich diverse, hauptsächlich englische, satirische Werke aus dem 18. und 17. Jahrhundert mit Dildos. Obwohl das Thema Selbstbefriedigung damals gesellschaftlich eher verschwiegen gehandhabt wurde, deutet diese Tatsache darauf hin, dass es sich um ein breitgesellschaftliches Phänomen handelte.
Zwar wiesen insbesondere die Spielzeuge ab dem Mittelalter sehr vielfältige Formgebungen auf. Stets handelte es sich jedoch um Dildos. Das heißt, sämtliche Stimulation basierte auf der Formgebung und den Abmessungen. Die Nutzung erfolgte, sofern damit nicht Klitoris oder Penis als Fingerersatz stimuliert wurden, durch vaginale oder anale Penetration. Geschichten, wie ein mit Bienen gefülltes Papyrusrohr, das angeblich von Königin Cleopatra als „Bio-Vibrator“ genutzt wurde, werden von der heutigen Wissenschaft angezweifelt.
Ende des 19. Jahrhunderts begann daher die offizielle Geschichtsschreibung von technischeren Sexspielzeugen. Interessanterweise waren diese jedoch aus heutiger Sicht eher pseudomedizinisches Hilfsmittel, denn Gerät für reines Vergnügen. Genauer: Seit dem 17. Jahrhundert attestierten (ausschließlich männliche) Mediziner Frauen das damals weitgehend unerforschte Krankheitsbild „Hysterie“ – besonders häufig Jungfrauen und Witwen.
Als Lösung wurde empfohlen, durch Stimulation einen „hysterischen Paroxysmus“ zu erreichen – heute besser bekannt als weiblicher Orgasmus. Nachdem hierzu lange Zeit „Handbetrieb“ verordnet wurde, entwickelte der US-amerikanische Arzt George Taylor anno 1869 erstmalig ein technischeres Gerät zur Bekämpfung der vermeintlichen Hysterie.
Sein patentierter „Manipulator“ war dampfbetrieben und lässt sich am ehesten mit einem modernen „Sybian“ vergleichen: Frauen mussten sich in Bauchlage auf einen Tisch legen. In dessen Mitte war ein durch ein Gestänge in Vibration versetzter Kopf installiert. Durch die Position wurde der Schamhügel der Frau darauf gepresst – und die Klitoris stimuliert.
In der darauffolgenden Zeit entstanden verschiedene weitere Maschinen mit ähnlichem Prinzip. Stets war ihre Nutzung streng medizinisch, stets verhalf sie jedoch Frauen, in ausnehmend prüden, sexuell tabuisierten Zeiten, zuverlässige Orgasmen zu erreichen.
Der erste elektrische Vibrator wurde 1883 vom Briten Joseph Mortimer Granville erfunden. Optisch an eine Bohrmaschine erinnernd sollte das Gerät verspannte Muskeln lockern. Gekauft wurde die Maschine jedoch vor allem von Medizinern, die damit ohne Dampfbetrieb die weibliche „Hysterie“ bekämpfen wollten.
In den folgenden Jahrzehnten wurden ebenfalls sehr viele dieser Werkzeuge entwickelt – nunmehr auch direkt an Frauen als Muskelmassagegerät gerichtet. Erst, als in den 1920ern der weibliche Orgasmus wissenschaftlich erforscht wurde und die Maschinen immer unverblümter als Sexspielzeuge beworben wurden, kam ein großer Einbruch.
Er dauerte letztlich bis in die 1960er und die Zeit der sexuellen Befreiung. Bis allerdings Sexspielzeuge ganz offen als solche beworben wurden, ohne auf großen gesellschaftlichen Protest zu stoßen, brachen die 2000er Jahre an.