Robert Klatt
Der innere Erdkern ist laut seismischen Messungen weicher als er sein sollte. Verantwortlich dafür könnte ein exotischer Materiezustand sein, bei dem der Erdkern fest und flüssig zugleich ist.
Peking (China). Die Forschung konnte bisher nicht ermitteln, aus welchen Materialien der feste innere Erdkern besteht und welche Strukturen er hat. Laut seismischen Messungen ist das Zentrum der Erde zudem weicher als es sein sollte. Dies ist ein Indiz dafür, dass das Eisen deutlich mehr leichtere Elemente wie Wasserstoff enthält als bislang angenommen wird.
Ein Team um den Forscher Yu He von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hat nun eine mögliche Erklärung für die Anomalien des inneren Erdkerns geliefert. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature untersuchten sie dazu, wie sich Eisen unter Bedingungen des Erdkerns verhält, wenn man dem Metall leichterer Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff oder Sauerstoff beimischt. Die verschiedenen Legierungen setzen sie in einer molekulardynamischen Simulation Temperaturen von bis zu 6.000 Kelvin (5726 Grad Celsius) und einem Druck von bis zu 360 Gigapascal (3600000 Bar) aus.
„Bei niedrigeren Temperaturen unter 3.000 Kelvin werden die leichteren Elemente im Eisengitter kaum deplatziert und vibrieren einfach nur an ihren Gitterpositionen. Das belegt, dass das Material unter diesen Bedingungen noch ein normaler Feststoff ist“, erklärt He. Der innere Erdkern ist jedoch deutlich heißer. Die Forscher heizten deshalb die Legierungen in ihrer Simulation noch stärker auf.
Es kam dadurch zu einem überraschenden Effekt, bei dem das Eisen bei Temperaturen über 3.000 Kelvin und unter Hochdruck weiterhin ein stabiles Gitter bildete. Die leichten Elemente verließen ihre ursprünglichen Positionen im Gitter jedoch und bewegten sich frei durch das Eisengitter. „Das belegt, dass die Eisenlegierungen unter den Bedingungen des inneren Erdkerns in einen superionischen Zustand wechseln. Dabei verhalten sich die Ionen der leichteren Elemente wie eine Flüssigkeit“, erklären die Autoren.
Die Simulation zeigt somit, dass der innere Erdkern gleichzeitig flüssig und fest sein könnte. Weil das Eisen einen Masseanteil von etwa 99 Prozent hat, kann es ein stabiles Gitter bilden, durch das die Beimischungen von Wasserstoff, Kohlenstoff oder Sauerstoff umherfließen. „Trotz des Phasenübergangs an der Grenze vom flüssigen äußeren zum festen inneren Kern behalten sie demnach ihre hohe Mobilität bei“, so He.
Wenn der Erdkern tatsächlich superionisch ist, würde dies auch einen Großteil der bekannten Anomalien erklären. „Unsere Ergebnisse stimmen gut mit den seismologischen Messungen überein“, erklärt Shichuan Sun. Die Simulation zeigt unter anderem, dass ein superionisches Kernmaterial die bekannten Verlangsamungen der Wellengeschwindigkeiten auslösen würde.
Auch dass das Wellenverhalten zeitlich variiert und dass die Bebenwellen sich in Abhängigkeit von der Richtung ihrer Kernpassage verschieden schnell bewegen, passt zu den physikalischen Eigenschaften des superionischen Zustands. Wie die Forscher erklären, liegt dies daran, dass die Konvektionsströme des äußeren Erdkerns sich bei flüssigen Anteilen im inneren Kern auch auf diesen auswirken könnten. Dies würde zu einer ungleichen Elementverteilung führen, was sich wiederum in den Wellengeschwindigkeiten bemerkbar machen würde.
Ob der Erdkern tatsächlich superionisch ist, kann die Simulation allein jedoch nicht beweisen. Eine Reproduktion der dafür notwendigen Bedingungen ist im Labor jedoch extrem aufwendig. He und sein Team erklären daher, dass in diesem Bereich weitere Studien notwendig sind.
Nature, doi: 10.1038/s41586-021-04361-x