Robert Klatt
In Grönland transportieren große Eisströme das Inlandeis in den Ozean. Die Forschung ist bisher davon ausgegangen, dass diese sich stetig wie zäh fließender Honig bewegen. Nun wurde entdeckt, dass kleine Beben das Eis ruckartig vorantreiben. Die Erkenntnisse sind wichtig, weil dadurch eine genauere Prognose des Meeresspiegelanstiegs möglich ist.
Zürich (Schweiz). Gewaltige Eisströme transportieren auf Grönland Inlandeis in den Ozean. Der größte Eisstrom Northeast Greenland Icestream (NEGIS) hat eine Geschwindigkeit von 50 Metern pro Jahr und transportiert zwölf Prozent des gesamten Eises, das in Grönland aus dem Inland in den Ozean fließt. Die Forschung hat die Bewegungen der Eisströme bisher mit Simulationen berechnet, um den Massenverlust abschätzen zu können. Die Simulation basiert auf der Annahme, dass die Eisströme langsam und stetig fließen und sich dabei ähnlich wie Honig verhalten. Satellitenmessungen der Fließgeschwindigkeit haben jedoch oft Daten geliefert, die deutlich von den Simulationen abgewichen sind.
Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) haben nun eine Studie publiziert, laut der es im Inneren der Eisströme regelmäßig zu kleinen Beben kommt, die die Eisströme beschleunigen und dadurch die Abweichungen zwischen den Satellitendaten und den Berechnungen verursachen.
„Die Annahme, dass Eisströme ausschließlich wie zäher Honig fließen, ist nicht mehr haltbar. Sie bewegen sich auch durch ein stetes Ruckeln.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Science haben die Forscher für ihre Studie ein 2.700 Meter tiefes Bohrloch am NEGIS verwendet, in dem sie ein 1.500 Meter langes Glasfaserkabel abgelassen haben. Sie konnten dadurch die seismischen Aktivitäten für 14 Stunden am Stück dokumentieren. Laut den dabei gewonnenen Daten gibt es regelmäßig kleine Erschütterungen im Eisstrom.
„Die Aufzeichnungen enthalten fünf eindeutige seismische Ereignisfolgen. Diese bestehen teils aus über 100 Unterereignissen, die kaskadenartig aufeinanderfolgen.“
Die kleinen Beben können an der Oberfläche nicht gemessen werden, weil ihre Ausbreitung etwa 900 Meter unter der Eisoberfläche aufhört. In der Tiefe befindet sich eine Schicht aus vulkanischen Partikeln, die vor 7.700 Jahren durch eine Eruption des Mount Mazama entstanden ist.
„Wir waren sehr erstaunt über den bisher unbekannten Zusammenhang zwischen der Dynamik eines Eisstroms und Vulkanausbrüchen.“
Vulkanische Partikel beeinflussen die Ausbreitung der Beben
Laut den Forschern beeinflussen die vulkanischen Partikel die Ausbreitung der Beben in dem Eisstrom. Die neuen Erkenntnisse können dabei helfen, genauere Simulationen von Eisströmen zu erstellen, die essenziell für die Prognose des Meeresspiegelanstiegs sind. In weiteren Studien wollen die Forscher untersuchen, ob die kleinen Beben auch in anderen Eisströmen auftreten und deren Bewegung beeinflussen.
Science, doi: 10.1126/science.adp8094