Robert Klatt
Neue Messdaten zeigen erstmals das Gestein unter dem empfindlichsten Gletscher der Antarktis. Die geologische Karte ermöglicht eine Prognose darüber, wie der Doomsday Gletscher sich bewegen und abtauen wird. Wichtig ist dies vor allem, weil der Gletscher den Meeresspiegel stark beeinflusst.
Cambridge (England). Der Thwaites-Gletscher, oft auch als der global gefährlichste Gletscher oder Doomsday Gletscher bezeichnet, ist ein massives Eisgebiet in der Westantarktis, das aufgrund seiner starken Eisschmelze im Fokus der globalen Erwärmungsforschung steht. Der Gletscher ist etwa 120 Kilometer breit und mehr als 600 Kilometer lang und hat ein Einzugsgebiet, das etwa vier Prozent des gesamten Eisschilds der Antarktis ausmacht. Seine rapide Schmelze trägt signifikant zum globalen Meeresspiegelanstieg bei, wobei die Wissenschaft prognostiziert, dass ein komplettes Abschmelzen des Thwaites-Gletschers den Meeresspiegel weltweit um etwa 65 Zentimeter ansteigen lassen könnte.
Eine Besonderheit dieses Gletschers ist seine Empfindlichkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, da er direkt auf dem Ozeanbett aufliegt und somit anfällig für das Eindringen von warmem Meerwasser ist, das das Eis von unten schmelzen lässt. Forscher der British Antarctic Survey (BAS) haben nun erstmals den Untergrund des Gletschers kartiert. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen essenzielle Einblicke in die Anfälligkeit des Gletschers gegenüber dem Klimawandel.
Laut der Publikation im Fachmagazin Science haben die Wissenschaftler um Bernd Kulessa, einem Glaziologen der geografischen Abteilung der Universität Swansea, bei der Untersuchung der geologischen Schichten unter dem Gletscher entdeckt, dass dort nur wenig Sedimentgestein vorhanden ist. Dieses unerwartete Ergebnis könnte die Bewegung des Gletschers in den kommenden Jahrzehnten beeinflussen, wenn er weiterhin in den Ozean vordringt.
Wie Dr. Tom Jordan, ein Geophysiker vom BAS erklärt, ermöglicht die neue geologische Karte der Region eine Prognose der zukünftigen Bewegung des Thwaites-Gletschers.
„Sedimente ermöglichen eine schnellere Fließbewegung, ähnlich wie das Gleiten auf Schlamm. Mit der jetzt vorhandenen Karte der schlüpfrigen Sedimente können wir besser vorhersagen, wie sich der Gletscher in Zukunft verhalten wird, während er sich zurückzieht.“
Die neue Analyse basiert auf Luftvermessungen mit Flugzeugen, die mit Radar ausgestattet sind, das durch das Eis bis zu den darunter liegenden Gesteinen sehen kann. Zusätzlich wurden Sensoren verwendet, die winzige Variationen in der Gravitation und im Magnetismus Tausende Meter unter dem Boden und dem Meeresboden, auf dem der Gletscher ruht, abbilden können.
Die Wissenschaftler nutzten dann diese vielfältigen Datenquellen, um ein dreidimensionales Bild der Merkmale, einschließlich der Art und Ausdehnung verschiedener Gesteine, zu erstellen. Es ist noch nicht klar, wie dieses neue Wissen über die subglaziale Geologie, die Schätzungen des Eisflusses und des Verlustes aus dem Thwaites und anderen Gletschern beeinflussen wird.
Die Studie zeigt jedoch, dass die geologische Landschaft eine direkte Kontrolle über die basalen Scherspannungen ausübt, die beeinflussen, wie schnell das Eis in den Ozean fließen kann. Mitglieder des Forschungsteams werden nun detailliertere Untersuchungen dieser Prozesse durchführen. Modellierer könnten auch in der Lage sein, die neuen Daten zu nutzen, um verlässlichere Prognosen über zukünftige Eisverluste zu erstellen. Laut Professor Bernd Kulessa von der geografischen Abteilung der Universität Swansea ist dies wichtig, weil das Abtauen des Gletschers den Meeresspiegel stark beeinflusst.
„Der anhaltend rapide Rückzug des Thwaites-Gletschers ist zweifellos eine der größten Unwägbarkeiten bei den Prognosen zum zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels. Indem wir verschiedene luftgestützte geophysikalische Datensätze zusammengeführt und sie mit modernsten wissenschaftlichen Konzepten analysiert haben, konnten wir erstmals die Geologie unter dem Eis enthüllen. Dies ist wichtig, da das Gletschereis über manchen Gesteinstypen leichter gleiten kann als über anderen, und geothermische Wärme das Eis in einigen Bereichen sogar noch schneller gleiten lässt. Unsere Studie liefert daher eine spannende und neuartige Grundlage für verbesserte Prognosen des zukünftigen Eisflusses des Thwaites-Gletschers und des Meeresspiegelanstiegs.“
Science, doi: 10.1126/sciadv.adf2639