Robert Klatt
Forscher haben erstmals einen Bohrkern aus intaktem Mantelgestein entnommen. Die Probe aus dem Mittelatlantischen Rücken liefert neues Wissen über den oberen Erdmantel, geologische Prozesse und womöglich über die Entstehung des Lebens.
Cardiff (Wales). Der obere Erdmantel hat eine hohe Relevant für die Geologie, weil in ihm unterschiedliche geologische Prozesse ablaufen, die unter anderem die Plattentektonik auslösen und den globalen Kohlenstoff- und Wasserkreislauf beeinflussen. Selbst unter der verhältnismäßig dünnen Erdkruste der Ozeane beginnt der Erdmantel jedoch erst in fünf bis sieben Kilometern Tiefe und kann deshalb nicht angebohrt werden. Ein Großteil der Proben aus dem Erdmantel stammt deshalb aus Vulkaneruptionen, bei denen Mantelgestein an die Erdoberfläche gelangt ist. Wie C. Johan Lissenberg von der Cardiff University erklärt, sind diese Proben wissenschaftliche nur eingeschränkt nutzbar.
„Diesen Proben fehlt daher der Kontext, die räumliche Kontinuität und die Information über ihre ursprüngliche Orientierung.“
Ein weiteres Problem des Mantelgesteins aus Vulkanausbrüchen ist, dass die Proben oft chemisch stark verändert sind. Ihre ursprüngliche Zusammensetzung lässt sich bisher kaum rekonstruieren, weil die zuvor abgelaufenen Umwandlungsprozesse aufgrund mangelnder Proben nicht bekannt sind.
Forscher der Cardiff University haben nun zum ersten Mal einen Bohrkern aus dem Erdmantel mit einer nahezu komplett intakten Struktur entnommen. Sie haben dazu mit dem Bohrschiff JOIDES Resolution am Atlantis-Massiv des Mittelatlantischen Rückens eine unterseeische Gesteinsformationen angebohrt. Den Wissenschaftlern gelang es so, einen 1.268 Meter langen Bohrkern aus dem Mantelgestein zu entnehmen, bei dem ein Großteil des Mantelgesteins (71 %) in seiner ursprünglichen Struktur und Abfolge vorliegt.
„Die Tiefe von U1601C übertrifft alle früheren Versuche, ozeanisches Mantelgesteine zu erbohren. Dass wir dieses Gestein bergen konnten, ist eine bedeutende Errungenschaft in der Geschichte der Geowissenschaften.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Science hilft das intakte Mantelgestein der Wissenschaft dabei, neue Erkenntnisse über die Entwicklung der Erde zu gewinnen. Erste Analysen des Gesteins zeigen, dass dieses größtenteils aus serpentinisiertem Peridotit besteht, einem Mineralgemisch aus Olivin, Pyroxen und Plagioklas.
„Aber der wahre Wert dieser Mantel-Bohrkerne liegt darin, was sie uns über die Struktur und die Entwicklung unseres Planeten erzählen können.“
Die Analysen zeigen jedoch, dass das Mantelgestein deutlich weniger Pyroxen enthält, als zuvor angenommen wurde. Normalerweise hat dieses Mineral aus Magnesium und Calcium bei Peridotit einen Anteil von rund 40 Prozent. Zudem enthält der Bohrkern weniger als zehn Prozent calciumhaltige Klinopyroxen. Seine Zusammensetzung unterscheidet sich somit stark von anderen Mantelgesteinsproben.
Die Forscher halten es für wahrscheinlich, dass die abweichende mineralische Zusammensetzung der Probe auf die Entnahmestelle am mittelozeanischen Rücken zurückgeht. In dieser Region steigt große Manga auf, das mit seinen hohen Temperaturen die Mineralanteile und den Pyroxengehalt beeinflussen kann.
„Dies ist wichtig, weil es uns verrät, wie das Mantelmaterial schmilzt und Vulkane speist, vor allem jene am Meeresgrund, die für den Hauptanteil des irdischen Vulkanismus verantwortlich sind. Indem wir nun Zugang zum Mantelgestein haben, können wir die Verbindung zwischen diesen Vulkanen und der Quelle ihres Magmas erforschen.“
Derzeit finden noch weitere Analysen der Gesteinsproben statt, die weitere Erkenntnisse über den Erdmantel bringen sollen. Die Forscher erhoffen sich von den Proben unter anderem neues Wissen über die Epoche der Erdgeschichte, in der das erste Leben entstanden ist.
„Unsere neue Tiefbohrung wird noch über Jahrzehnte eine definierende Typus-Sektion sein, an der wir so unterschiedliche Phänomene wie Schmelzprozesse im Erdmantel, die chemische Interaktion zwischen Gestein und Ozean, organische Geochemie und Mikrobiologie erforschen können.“
Science, doi: 10.1126/science.adp1058