Robert Klatt
Normalerweise produzieren photosynthetische Organismen Sauerstoff mithilfe von Sonnenlicht. Nun wurde in der Tiefsee eine neue Sauerstoffquelle entdeckt, die ohne Sonnenlicht funktioniert und potenziell das bisherige Verständnis der Evolution des komplexen Lebens auf der Erde infrage stellt.
Oban (Schottland). Sauerstoff wird normalerweise von photosynthetische Organismen wie Algen und Pflanzen mithilfe von Sonnenlicht produziert. Es gibt aber auch alternative Methoden der Sauerstoffproduktion, darunter etwa Mikroben (Nitrosopumilus maritimus), die in der Tiefsee ohne Photosynthese das chemische Element herstellen. Wissenschaftler der Scottish Association for Marine Science (SAMS) um Andrew Sweetman haben 4.000 Meter unter der Meeresoberfläche des Pazifiks nun sogenannten „dunklen Sauerstoff“ entdeckt, der ohne Sonnenlicht entsteht. Die Entdeckung stellt laut den Forschern das bisherige Verständnis der Sauerstoffproduktion in der Wissenschaft infrage und sorgt für Zweifel an den Ursprüngen des Lebens.
„Damit aerobes Leben auf dem Planeten entstehen konnte, musste Sauerstoff vorhanden sein. Unser bisheriges Verständnis war, dass die Sauerstoffversorgung der Erde mit photosynthetischen Organismen begann. Aber nun wissen wir, dass auch in der Tiefsee, wo kein Licht vorhanden ist, Sauerstoff produziert wird. Wir müssen daher Fragen wie diese neu überdenken: Wo könnte aerobes Leben entstanden sein?“
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Geoscience haben die Forscher die Entdeckung in der Clarion-Clipperton-Zone, einem Bereich in der pazifischen Tiefsee, gemacht, als sie dort die potenziellen Auswirkungen des Tiefseebergbaus untersucht haben. Der Tiefseebergbau könnte in der Clarion-Clipperton-Zone polymetallische Knollen fördern, die Metalle wie Mangan, Nickel und Kobalt enthalten. Diese Rohstoffe werden unter anderem für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien verwendet.
Experimente mit den polymetallischen Knollen zeigen, dass diese eine sehr hohe elektrische Ladung besitzen. Es kann dadurch zur sogenannten Meerwasserelektrolyse kommen, bei der das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten wird. Damit der Prozess ablaufen kann, ist eine Spannung von 1,5 V erforderlich. Untersuchungen von mehreren polymetallischen Knollen ergaben, dass auf deren Oberflächen Spannungen von bis zu 0,95 Volt existieren. Mehrere Kugeln zusammen könnten also ausreichend Spannung liefern, um die Meerwasserelektrolyse anzuregen.
„Durch diese Entdeckung haben wir viele unbeantwortete Fragen aufgeworfen, und ich denke, wir müssen gründlich darüber nachdenken, wie wir diese Knollen abbauen, die im Grunde genommen Batterien in einem Stein sind.“
Wie Sweetman erklärt, haben die Messdaten die Forscher überrascht, weil bisherige Untersuchungen in der Tiefsee vor allem den Sauerstoffverbrauch und nicht die Sauerstoffproduktion belegt haben. Die Forscher haben deshalb ihre Messgeräte neukalibriert und die Messungen in einem Zeitraum von zehn Jahren mehrfach wiederholt. Die ungewöhnlichen Daten wurden dabei erneut gemessen.
„Wir entschieden uns, eine alternative Methode zu verwenden, die anders funktionierte als die von uns verwendeten Optodensensoren, und als beide Methoden das gleiche Ergebnis lieferten, wussten wir, dass wir etwas bahnbrechendes und noch nie Dagewesenes entdeckt hatten.“
Laut den Forschern belegen die neuen Erkenntnisse, dass die Biodiversität in der Clarion-Clipperton-Zone neu bewertet werden muss, weil Erkenntnisse zur Sauerstoffproduktion bei den vorherigen Analysen nicht miteinbezogen wurden. Nicholas Owens ist zudem der Ansicht, dass die Entdeckung potenziell zeigt, dass die Evolution des komplexen Lebens auf der Erde anders abgelaufen ist, als bisher angenommen wurde.
„Meiner Meinung nach ist dies eine der aufregendsten Entdeckungen der Meereswissenschaften in jüngster Zeit. Die Entdeckung der Sauerstoffproduktion durch einen nicht-photosynthetischen Prozess zwingt uns, die Evolution des komplexen Lebens auf unserem Planeten neu zu überdenken. Die konventionelle Ansicht besagt, dass Sauerstoff vor etwa drei Milliarden Jahren von uralten Mikroben, den sogenannten Cyanobakterien, erstmals produziert wurde und dass sich danach allmählich komplexes Leben entwickelte.“
Nature Geoscience, doi: 10.1038/s41561-024-01480-8