Robert Klatt
Der Klimawandel sorgt dafür, dass Gletscherspalten in Grönland immer tiefer und breiter werden. Es kann dadurch zu einem Dominoeffekt kommen, der den Eisverlust weiter beschleunigt.
Durham (England). Gletscher bestehen aus mehreren Eisschichten, die sich mit unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten bewegen. Es entstehen deshalb deutlich sichtbare Spalten im Eis, etwa wenn das Eis an der Gletscherzunge gebremst wird, während es in der Gletschermitte ungehindert fließen kann.
Forscher der Durham University haben nun eine Studie publiziert, laut der der Klimawandel diesen natürlichen Prozess deutlich beschleunigt. Laut der Untersuchung haben sich die Gletscherspalten im grönländischen Eisschild in den letzten fünf Jahren deutlich ausgeweitet und werden immer schneller größer. Der Eisverlust in der Arktis nimmt dadurch zu.
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Geoscience haben die Wissenschaftler für ihre Studie 8000 3D-Oberflächenkarten des Eisschilds analysiert, die sie mithilfe von Satellitenbildern erstellt haben. Laut den Karten sind die Gletscherspalten im Zeitraum von 2016 bis 2021 an den Rändern der Gletscher deutlich tiefer und breiter geworden. Der Prozess lief deutlich schneller ab, als in den Geowissenschaften bisher angenommen wurde.
Die Forscher erklären, dass die deutliche Vergrößerung der Gletscherspalten auf den Klimawandel zurückgeht. Die global zunehmenden Temperaturen sorgen dafür, dass das Eis sich schneller bewegt, was zu größeren und tieferen Rissen führt. Am stärksten hat die Gletscherfließgeschwindigkeit an den Rändern des Eisschilds zugenommen, wo das Eis ins Meer fließt. In diesen Bereichen haben die Gletscherspalten im untersuchten Zeitraum um rund ein Viertel zugenommen.
„In einer sich erwärmenden Welt würden wir erwarten, dass sich mehr Gletscherspalten bilden. Das liegt daran, dass die Gletscher als Reaktion auf die Erwärmung der Ozeane schneller werden und dass das Schmelzwasser, das die Gletscherspalten füllt, die Risse tiefer in das Eis drückt.“
Laut den Forschern kommt es durch das Wachstum der Gletscherspalten zudem zu einem Dominoeffekt, der den ohnehin zunehmenden Eisverlust in Grönland weiter beschleunigt.
„Wenn Gletscherspalten wachsen, nähren sie die Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich die Gletscher des Eisschilds schneller bewegen, Wasser und Wärme in das Innere des Eisschilds treiben und das Kalben von Eisbergen in den Ozean beschleunigen. Diese Prozesse könnten wiederum den Eisfluss beschleunigen und zur Bildung von mehr und tieferen Gletscherspalten führen, ein Dominoeffekt, der den Eisverlust in Grönland beschleunigen könnte.“
Die Satellitenbilder zeigen, dass die aktuelle Zunahme der Gletscherspalten durch einen Rückgang der Gletscherspalten am Südlichen Gletscher (Sermeq Kujalleq) ausgeglichen wurde. Die Gletscherspalten am Sermeq Kujalleq, der normalerweise sich am schnellsten bewegende Gletscher im untersuchten Gebiet, sind zurückgegangen, weil seine Fließgeschwindigkeit vorübergehend gesunken ist. Wenn diese Fließgeschwindigkeit des Gletschers wieder zunimmt, endet das kurzzeitige Gleichgewicht zwischen dem Wachstum und der Schließung der Gletscherspalten jedoch wieder.
Nature Geoscience, doi: 10.1038/s41561-024-01636-6