Robert Klatt
Die Sterbewahrscheinlichkeit entwickelt sich in Deutschland deutlich schlechter als in vielen anderen reichen Ländern. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.
London (England). In Deutschland und den meisten anderen Ländern mit hohen Einkommen werden die Menschen immer älter. Erkennen kann man das neben der Lebenserwartung auch an der Sterbewahrscheinlichkeit, die laut dem Bundesamt für Statistik (Destatis) das Risiko dafür zeigt, in einem bestimmten Lebensjahr zu sterben.
„Die Sterbewahrscheinlichkeit gibt an, wie wahrscheinlich es ist, im Laufe eines Altersjahres zu sterben. Zur Berechnung werden die Sterbefälle eines Altersjahres ins Verhältnis zu den Lebenden am Beginn des Altersjahres gesetzt. In der Regel werden diese Sterbewahrscheinlichkeiten zudem separat für Männer und Frauen berechnet. Sterbewahrscheinlichkeiten bilden den Ausgangspunkt zur Berechnung einer Sterbetafel.“
Wissenschaftler der Bayes Business School haben nun die Sterberaten von Menschen im Alter von 50 bis 95 Jahren aus 21 Ländern mit hohen Einkommen im Zeitraum von 1960 bis 2010 untersucht und mit aktuellen Daten verglichen. Laut ihrer Publikation im European Actuarial Journal haben sie dabei bemerkt, dass sich die Sterbewahrscheinlichkeit weniger positiv entwickelt als vor einigen Jahrzehnten.
Besonders stark gesunken ist die Verbesserungsrate bei der Sterbewahrscheinlichkeit bei Frauen in Deutschland. Im Zeitraum 1991 bis 2000 lag diese bei 2,4 Prozent, 2011 bis 2017 lediglich bei einem Prozent. Im gleichen Zeitraum sank die durchschnittliche Verbesserung der Sterbewahrscheinlichkeit bei Männern in Deutschland von 2,2 Prozent auf 1,23 Prozent.
Gemeinsam mit Taiwan und Großbritannien erzielt Deutschland damit die schlechtesten durchschnittlichen Verbesserungsraten der Sterblichkeit. Im Vergleich mit den 20 weiteren untersuchten Ländern mit ähnlichen ökonomischen Verhältnissen liegt Deutschland bei Frauen auf dem 18ten Platz und bei Männern auf dem 20ten Platz.
Steven Haberman, Professor für Versicherungsmathematik an der Bayes Business School bezeichnet diese Entwicklung als „alarmierenden Trend“.
„Wurde das Rentenalter zu schnell angehoben? Die Antwort könnte Ja lauten.“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam kürzlich auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), laut der ein höheres Renteneintrittsalter die psychische und physische Gesundheit negativ beeinflusst.
Als weitere mögliche Gründe nennen die Autoren, dass in nahezu allen Industriestaaten Diabetes, Adipositas und andere chronische Gesundheitsprobleme bereits bei jüngeren Menschen vermehrt auftreten. Die Rate der Raucher und Menschen mit hohem Cholesterinspiegel ist ebenfalls seit Langem konstant. Hinzukommen höhere Sterblichkeitsraten durch Alzheimer und Demenz sowie soziale Faktoren. In vielen Ländern hat demnach die Ungleichheit der Sterblichkeitsraten bei den unterschiedlichen sozioökonomischen Gruppen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die höheren Sterblichkeitsraten der ärmeren Menschen beeinflussen die Gesamtentwicklung stark.
Laut Pavel Grigoriev, Leiter der Forschungsgruppe Mortalität des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) ist Deutschland unter den Ländern mit hohen Einkommen seit Langem ein Nachzügler.
„Es besteht seit Langem eine Gesundheitskluft zwischen erfolgreicheren Ländern und Deutschland.“
Dieser Langlebigkeitsnachteil in Deutschland wird hauptsächlich durch die Menschen kurz vor dem Rentenalter (55-64) verursacht.
„Diese Gruppe sowie die Gruppe 65+ tragen am höchsten zur Benachteiligung bei.“
Besonders stark unterscheidet sich Deutschland laut dem Mortalitätsforscher zu anderen Ländern mit hohem Einkommen durch die höhere Anzahl an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wieso das so ist, kann das BIP bisher aber nicht beantworten.
„Vermutlich liegt das Problem bei der unzureichenden medizinischen Grundversorgung und Krankheitsprävention. Es ist wirklich rätselhaft, warum Deutschland angesichts zahlreicher Vorteile so schlecht abschneidet.“
European Actuarial Journal, doi: 10.1007/s13385-022-00318-0