Robert Klatt
Starker Alkoholkonsum löst im Gehirn eine Entzündungsreaktion aus, die auch nach Wochen der Abstinenz das Nervengewebe weiter schädigt.
Mannheim (Deutschland). Laut dem Alkoholatlas des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) verzichten in Deutschland nur drei Prozent aller Erwachsenen komplett auf Alkohol. 1,3 Millionen Menschen sind hingegen alkoholabhängig und weitere zwei Millionen Deutsche trinken Alkohol missbräuchlich, zeigen aber noch keine Zeichen einer körperlichen Sucht. Die Folgen für die Gesundheit umfasst neben Leberschäden auch ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs sowie eine Schädigung des Gehirns, die sich zum Beispiel auf die Konzentrations- und Gedächtnisleistung auswirkt und die Lernprozesse behindert.
Wissenschaftler des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI), einem psychiatrischen Forschungsinstitut mit Klinikum in Mannheim, haben aus diesem Grund untersucht, wie lange das Gehirn braucht, um nach einem Verzicht auf Alkohol wieder an vorherige Leistungen anknüpfen zu können. Die Ergebnisse der im Fachmagazin JAMA Psychiatry veröffentlichten Studie widersprechen bisherigen Annahmen der Forschung, die davon ausgingen, dass alkoholbedingte Schäden bereits nach kurzer Abstinenz wieder zurückgehen, deutlich.
Als Probanden der Studie konnten die Wissenschaftler auf 91 alkoholabhängige Patienten der Klinik und 36 gesunde Kontrollpersonen zurückgreifen. Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) wurde dann untersucht, wie sich die Mikrostruktur der weißen Substanz des Gehirns, die vor allem für Lernprozesse und das Gedächtnis eine zentrale Rolle spielt, verändert, wenn Alkoholkranken eine Entzugskur beginnen.
Es zeigte sich dabei, dass selbst nach sechswöchiger Abstinenz keine Erholung der weißen Substanz erfolgte. Überraschenderweise waren die Schäden am Nervensystem sogar noch größer als vor Beginn der Entzugskur. Als Ursache dafür vermuten die Wissenschaftler eine durch den vorherigen übermäßigen Alkoholkonsum ausgelöste Entzündungsreaktion, die auch während der Abstinenz weiter fortschritt.
Um verifizieren, dass auch tatsächlich der Alkohol die beobachteten Hirnveränderungen auslöst , haben die Wissenschaftler anschließend Tierversuche mit Ratten durchgeführt. Wolfgang Sommer, Co-Autor der Studie erklärt, dass „es dies erlaubte, den Ursachenzusammenhang klar festzustellen, was allein durch klinische Beobachtungen am Patienten nicht möglich gewesen wäre.“ Untersuchungen der Ratten im MRT zeigten wie Sommer berichtet „genau die gleichen Hirnveränderungen wie die Patienten.“
Andere Einflussfaktoren wie die Ernährung, Rauchen oder weitere Erkrankungen, die ebenfalls für eine Schädigung der weißen Substanz des Gehirns verantwortlich sein könnten, konnten die Wissenschaftler als Ursache somit ausschließen. Außerdem zeigten die Tierversuche, dass Alkoholkonsum schneller Schäden am Gehirn verursacht als bisher angenommen. Die Autoren der Studie empfehlen deshalb zur Vorbeugung langfristige Abstinenzperioden, die auch von nicht alkoholkranken Personen regelmäßig eingehalten werden sollten.
JAMA Psychiatry, doi: 10.1001/jamapsychiatry.2019.0318