Robert Klatt
Antibiotika reduzieren bei Kleinkindern das durch eine Impfung aufgebaute Antikörperlevel deutlich.
Rochester (U.S.A.). In der Medizin wird schon seit Jahren davor gewarnt, dass der unsachgemäße Einsatz von Antibiotika das Entstehen von Resistenzen in Bakterien fördert und somit mittel- und langfristig die Wirksamkeit der Medikamente reduziert. Antibiotika sollten deshalb nur verwendet werden, wenn dies medizinisch absolut notwendig ist. Wissenschaftler des Rochester General Hospital Research Institute haben im Fachmagazin Pediatrics nun ein weiteres Argument gegen den Einsatz von Antibiotika veröffentlicht.
Laut den Forscher um Timothy J. Chapman können Antibiotika besonders bei Babys und Kleinkindern dazu führen, dass Impfungen eine verringerte Wirksamkeit haben. Für ihre Studie haben die Wissenschaftler 560 Kinder im Lebensabschnitt von sechs bis 24 Monaten regelmäßig untersucht. Zudem wurde den Probanden mehrmals Blut abgenommen. Im Studienzeitraum erhielten 342 Kinder (61 %) Antibiotika zum Beispiel zur Behandlung einer Mittelohrentzündung. Die übrigen 218 Kinder (39 %) erhielten keine Antibiotika und dienten in der Studie als Kontrollgruppe.
Um die Effekte der Antibiotika auf Impfungen zu analysieren, untersuchten die Wissenschaftler die Antikörpertiter gegen zehn Antigene von vier Impfstoffen gegen das Pneumokokkenkonjugat Vakzin (PCV), Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten (DTaP), das Haemophilus Influenzae Typ b (Hib) und das inaktivierte Polio-Vakzin (IPV). Dabei bemerkten sie, dass Antibiotika bei Kindern mit großer Signifikanz das Antikörperlevel reduziert.
„Das wichtigste Ergebnis ist, dass die gemessenen Antikörpertiter unter den Konzentrationen liegen, die generell für einen Immunschutz als relevant angesehen werden. Damit hätten sie ein erhöhtes Risiko, an Infektionen zu erkranken, die durch die Erreger, gegen die geimpft wurde, ausgelöst werden“, kommentiert Professor Ulrich Schaible vom Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften in Borstel die Ergebnisse.
„Meines Erachtens ist diese Studie wissenschaftlich fundiert durchgeführt“, so Schaible. Zweifel an den Ergebnissen gibt es demnach nicht. Dies bestätigt auch Claudius Meyer, Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Mainz. „Die Studie ist fachgerecht aufgebaut, folgt den üblichen, sehr strikten Anforderungen an klinische Studien und kann ihre Schlussfolgerung auf eine statistisch aussagekräftige Zahl an Studienteilnehmern stützen“, erklärt Meyer gegenüber Welt.de.
Ausgelöst wird dieser Effekt laut den Autoren sehr wahrscheinlich dadurch, dass die Antibiotika das Darmmikrobioms verändern und dabei auch Bakterien töten, die zur Funktion des Immunsystems beitragen. „Der Darm ist von unzähligen unterschiedlichen Bakterien besiedelt, die unser Immunsystem auf Trab halten und dafür sorgen, dass es in Balance bleibt“, erklärt Cornelia Gottschick Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik an der Universität Halle-Wittenberg.
„Antibiotika, die in der frühen Kindheit gegen eine Mittelohrentzündung verschrieben werden, greifen nicht nur die gefährlichen Bakterien im Ohr an, sondern auch die nützlichen Bakterien des Mikrobioms. Die Balance der Bakterien mit unserem Immunsystem wird dadurch gestört und es ist denkbar, dass Impfungen dadurch nicht mehr ihre volle Wirkung zeigen, was zu einem verminderten Immunschutz führen kann“, so Gottschick.
Als Reaktion auf die Studie empfiehlt Schaible, dass die Antibiotika Amoxicillin und Clavulanate bei Kleinkindern lediglich fünf statt zehn Tage verabreicht werden. „Es müssten also kürzere Behandlungsschemata entwickelt werden, die auch schon in der kurzen Zeit wirksam sein können“, fordert der Experte.
Laut Gottschick kann „möglicherweise eine Einnahme von Probiotika, welche das Darmmikrobiom während einer Antibiotikaeinnahme schützen sollen, den in der Studie beobachteten Effekt reduzieren.“ Dies bestätigt auch Schaible, laut dem „Probiotika getestet werden sollten, die das Mikrobiom nach der Antibiotikagabe schneller wiederherstellen, das heißt dessen Resilienz verbessern.“
Pediatrics, doi: 10.1542/peds.2021-052061