Robert Klatt
Eine neue Behandlungsmethode hat bei Mäusen die epigenetische Uhr zurückgesetzt und dadurch die Blindheit der Tiere geheilt. In Zukunft ist auch eine Behandlung von Menschen zum Beispiel zur Verjüngung des Gehirns und zur Heilung von Blindheit denkbar.
Boston (U.S.A.). Wissenschaftlern der Harvard Medical School um David Sinclair ist es gelungen einer blinden Maus durch eine Reprogrammierung alter Nervenzellen ihre Sehfähigkeit zurückzugeben. Prinzipiell könnte die Behandlungsmethode, bei der in die Epigenetik der Zellen eingegriffen wird, auch beim Menschen zum Einsatz kommen zum Beispiel, um alte Gehirne zu verjüngen.
Die Behandlung basiert laut der im Fachmagazin Nature publizierten Studie auf dem Konzept der sogenannten epigenetischen Uhr. Dieses geht davon aus, dass das Alter eines biologischen Organismus von epigenetischen Mustern auf der DNA, den sogenannten Methylierungen, definiert ist. Während eines Lebens verändert sich die Methylierungen und die davon abhängenden Zellfunktionen, weil nicht alle Gene während des gesamten Lebens benötigt werden. Dies führt dazu, dass im Alter durch Veränderungen der Methylierungen bestimmte Fähigkeiten verloren gehen, obwohl die Gene die eigentlichen Informationen weiterhin speichern.
Konkret haben die Wissenschaftler bei den Sehnerven alter Mäuse angesetzt. Diese sind über schlauchartige Nervenfortsätze, sogenannte Axone, mit dem Gehirn der Tiere verbunden. Bei Schäden im jungen Alter sorgt die Methylierung dafür, dass beschädigte Axone sich regenerieren. Bei Mäusen im höheren Älter sorgt die epigenetische Uhr dafür, dass dieser Prozess nicht stattfinden. Die Schäden sind also eigentlich permanent.
Mit einer Reprogrammierung der Nervenzellen mithilfe von Yamanaka-Faktoren, also Proteinen, die Gene ein- und ausschalten können, ist es den Wissenschaftlern gelungen, das epigenetische Muster alter Mäuse so zu modifizieren, dass es identisch mit dem junger Mäuse ist.
In den Tierversuchen sorgte diese Reprogrammierung der Nervenzellen dafür, dass diese ihre ursprüngliche Regenerationsfähigkeit zurückerhielten. Dies funktionierte sowohl bei Mäusen mit mechanischen Verletzungen als auch bei Mäusen mit altersbedingten grünen Star (Glaukom). Dass die Sehfähigkeit wiederhergestellt wurde, beweist laut den Wissenschaftlern, dass die einst blinden Tiere sich nach der Behandlung wieder an Mustern in einem Raum orientieren konnten und dass diese auf optische Reize reagierten.
Die Studie zeigt somit einen neuen therapeutischen Ansatz zur Behandlung von altersschwachen Sehnerven und Blindheit, der prinzipiell auch beim Menschen eingesetzt werden könnte. Andrew Huberman von der Stanford Universität schreibt in einem Kommentar außerdem, dass die Behandlungsmethode auch dazu genutzt werden könnte, um beschädigte und gealterte Gehirne zu therapieren.
Laut unabhängigen Experten ist die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit hoch. Gleichzeitig bemerken sie aber, dass es bis zur Anwendung beim Menschen noch ein sehr langer Weg sei. Wie Peter Tessarz vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns erklärt, ist beispielsweise noch unklar, ob die Methode mit allen Geweben funktioniert. Außerdem muss Biochemiker und Epigenetikexperte Holger Bierhoff bedacht werden, dass eine Reprogrammierungen von Zellen bei falscher Dosierung zu Krebs führen könnte.
Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2975-4