Robert Klatt
Ein neuer Bluttest erkennt 50 Krebsarten. Die Genauigkeit liegt je nach Stadium der Tumorerkrankung zwischen 18 Prozent und 93 Prozent. Im Mittel werden über alle Stadien und Krebsarten 43,9 Prozent erreicht.
Lugano (Schweiz). Krebs hat in den meisten Industrieländern Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigste Todesursache abgelöst. Auf der Suche nach neuen Früherkennungsmethoden hat die Wissenschaft in den letzten Jahren Atemtests für Lungen- und Darmkrebs entwickelt, einen Urintest für Prostatakrebs vorgestellt und einen Bluttest gezeigt, der theoretisch alle Krebsarten erkennen kann. Im klinischen Alltag sind diese vielversprechenden Tests bisher leider noch nicht angekommen. Ärzte sind deshalb noch immer auf aufwendige und unangenehme bildgebenden Verfahren angewiesen, die häufig zu falsch-positiven Ergebnissen führen.
Wissenschaftler der European Society for Medical Oncology (ESMO) haben nun im Fachmagazin Annals of Oncology einen neuen Bluttest vorgestellt. Dieser soll laut seinen Entwicklern 50 Krebsarten im Blut erkennen und voneinander unterscheiden können sowie anzeigen, welches Gewebe oder Organe von einem Tumor befallen ist. Dies erfolgt durch eine Analyse der Methylgruppen-Anlagerung an mehr als einer Million Positionen der DNA. Analysiert werden die Blutproben von einem selbstlernenden Algorithmus, der anhand der erkannten Muster die Krebsart und die befallenen Gewebe bestimmt.
Eine erste klinische Studie haben die Forscher des CCGA-Consortiums (Circulating Cell-free Genome Atlas) bereits mit Blutproben von 689 Krebspatienten und einer gesunden Kontrollgruppe durchgeführt. Zwei Drittel der Blutproben der Krebspatienten dienten dabei als Trainingsmaterial für den Algorithmus, das übrige Drittel wurde genutzt, um zu erproben, ob das Programm tatsächlich Krebs im Blut erkennen kann. Laut Studienleiter Michael Seiden „handelt es sich bei der Studie um das bisher umfangreichste klinische Genomik-Programm, bei dem ein Bluttest für die Früherkennung zahlreicher Krebsarten entwickelt und validiert wurde.“
Die Ergebnisse zeigen, dass der Bluttest bereits mit der relativ kleinen Menge an Trainingsdaten gesunde Menschen und Krebspatienten mit hoher Genauigkeit auseinanderhalten kann. Die Trefferquote variiert in Abhängigkeit von der Krebsart und dem Stadium der Erkrankung aber stark. Frühe Tumore (Stadium I) wurden bei 18 Prozent der Probanden erkannt, fortgeschrittener Krebs (Stadium IV) wird bis zu 93 Prozent erkannt. Im Mittel liegt die Genauigkeit des Bluttests bei allen Krebsarten und allen Stadien bei bisher 43,9 Prozent.
Wird die Erkennung des Algorithmus ausschließlich auf die zwölf häufigsten Krebserkrankungen, dazu gehören Bauchspeicheldrüsenkrebs, Blutkrebs, Magenkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs, Leberkrebs, beschränkt, steigt die Gesamtgenauigkeit auf 67,3 Prozent.
Falsch-positive Ergebnisse liefert der Blutkrebs bei nur 0,7 Prozent der Untersuchungen, also wesentlich seltener als aktuell genutzte Früherkennungsverfahren wie dem Mammografie-Reihenscreenings, das bei bis zu zehn Prozent der gesunden Frauen Brustkrebs erkennt. Auch der Ort des Tumors wurde bei 96 Prozent der Probeuntersuchung korrekt bestimmt.
Die Wissenschaftler schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass „dieser Methylierungstest die grundlegenden Voraussetzungen für einen multiplen Krebsfrüherkennungs-Bluttest erfüllt“, auch wenn bei sehr frühen Krebsstadien die Genauigkeit noch gesteigert werden muss.
Fabrice André vom Fachmagazin Annals of Oncology schreibt in einem Gastkommentar dazu, dass „dies eine bahnbrechende Studie und ein erster Schritt zur Entwicklung von leicht einzusetzenden Screening-Werkzeugen ist.“ Wie André erklärt, „könnte schon die frühe Erkennung von mehr als 50 Prozent der Krebsfälle jedes Jahr Millionen Menschenleben weltweit retten.“
Annals of Oncology, doi: 10.1016/j.annonc.2020.02.011