Robert Klatt
Menschen, die als Erwachsene chronisch antisoziale Verhaltensweisen wie etwa Diebstahl zeigen, haben auffällige Veränderungen im Gehirn. Dies deutet darauf hin, dass Kriminalität nicht nur durch Umwelteinflüsse und die Erziehung entsteht, sondern teilweise auch vererbt wird.
London (England). Wissenschaftler des University College London (UCL) erforschen seit Jahrzehnten, was Menschen zu Kriminellen macht. Als Basis dient dem Team um die klinische Psychologin Terrie Moffitt dazu die Dunedin Multidisciplinary Health and Development Study (PDF), die 1.037 Probanden aus den Geburtsjahrgängen 1972/73 seit ihrer frühen Kindheit beobachtet.
Im Rahmen der Studie werden Eltern und enge Bekannte ab dem siebten Lebensjahr der Kinder regelmäßig zu antisozialen Eigenschaften befragt, darunter etwa Mobbing, das Zerstören von Eigentum, Diebstahl, Lügen und Schulschwänzen.
Moffitt hat auf Basis dieser Studiendaten Entwicklungstaxonomien („developmental taxonomy“) entwickelt, anhand deren man Menschen bezüglich der Entstehung krimineller Karrieren in drei Gruppen unterteilen kann.
Ein Großteil der Menschen fällt demnach nie durch antisoziales Verhalten auf. Ein kleiner Teil ist nur vorübergehend im Jugendalter auffällig („adolescent-limited“) und noch weniger Menschen zeigen auch als Erwachsene antisoziales Verhalten („life-course-persisting“).
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin The Lancet Psychiatry konnte Moffitt kürzlich 672 Probanden im Alter von 45 Jahren per Magnetresonanztomografie untersuchen.
Bei den Probanden mit chronisch antisozialem Verhalten bemerkten die Wissenschaftler, dass die Oberfläche der kortikalen Hirnwindungen deutlich kleiner ist als bei Menschen mit einem normalen Verhalten. Die Differenz ist zwar relativ gering (3 %), aber dennoch statistisch signifikant. Bei Menschen, die nur vorübergehend im Jugendalter ein problematisches Verhalten zeigten, konnten keine Unterschiede im Gehirn festgestellt werden.
Außerdem ist die mittlere Cortex-Dicke bei Menschen mit einem chronisch antisozialen Verhalten dünner (2,54 mm) als bei unauffälligen Probanden (2,56 mm). Menschen, die nur im Jugendalter auffällig waren, lagen auch hier im Normalwert (2,55 mm). Gefunden wurden die Unterschiede in der Cortex-Dicke primär im Stirnlappen, dem den Entscheidungszentren des Gehirns.
Welche Ursachen es für die Unterschiede im Gehirn gibt, kann die Studie nicht erklären. Laut Zwillings- und Adoptionsstudien wird ein Teil des antisozialen Verhaltens vererbt. Ein Teil geht jedoch auch auf die Erziehung und andere Umwelteinflüsse zurück.
The Lancet Psychiatry, doi: 10.1016/S2215-0366(20)30002-X