Robert Klatt
Menschen mit chronischer Schlaflosigkeit schneiden bei Denk- und Gedächtnistests schlechter ab und entwickeln öfter kognitive Krankheiten wie Demenz. Ihre Gehirnalterung läuft zudem deutlich schneller ab als bei gleichaltrigen Personen mit gesundem Schlaf.
Rochester (U.S.A.). In Deutschland leiden etwa 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung unter Ein- und Durchschlafproblemen. Diese führen kurzfristig zu Konzentrationsproblemen, schädigen, wenn sie langfristig bestehen, aber auch das Gehirn und beschleunigen den kognitiven Abbau. Wieso sich Schlaflosigkeit (Insomnie) und Schlafstörungen auf das Gehirn auswirken, hat die Medizin bisher aber nur unzureichend untersucht.
Wissenschaftler der Mayo Clinic haben deshalb eine Studie durchgeführt, in der sie das Gehirn von 2.750 Probanden über einen Zeitraum von 5,6 Jahren regelmäßig untersucht haben. Laut der Publikation im Fachmagazin Neurology waren die Teilnehmer zu Beginn im Mittel 70 Jahre alt und hatten keine kognitiven Erkrankungen wie Demenz. 16 Prozent der Probanden hatten seit mindestens drei Monaten Schlafstörungen an mindestens drei Tagen wöchentlich.
Im Studienzeitraum haben die Probanden jedes Jahr Denk- und Gedächtnistests durchgeführt und es wurden Gehirnscans per Magnetresonanztomografie (MRT) erstellt, die auf Veränderungen in der weißen Substanz und nach Amyloid-Plaques, also Proteinablagerungen, die als Mitauslöser von Alzheimer gelten, untersucht wurden. Einflussfaktoren wie das Alter, die Einnahme von Schlafmitteln, die Diagnose von Schlafapnoe und Bluthochdruck wurden bei der Auswertung berücksichtigt.
Im betrachteten Zeitraum kam es bei Probanden mit Schlaflosigkeit öfter zu einer leichten kognitiven Krankheit oder Demenz (14 %) als bei Probanden ohne Insomnie (10 %). Außerdem haben die Probanden mit Insomnie im Durchschnitt bei den Denk- und Gedächtnistests schlechtere Ergebnisse erzielt. Eine Studie der University of Nottingham hat zudem kürzlich ergeben, dass Menschen mit Schlafstörungen öfter an Verschwörungstheorien glauben.
Laut den Forschern belegen die Ergebnisse, dass das Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung bei Menschen mit chronischer Insomnie deutlich höher ist (+ 40 %) als bei Menschen mit gesundem Schlaf. Die dokumentierten Einbußen entsprechen einer Beschleunigung des Alterungsprozesses von 3,5 Jahren.
„Schlaflosigkeit wirkt sich nicht nur darauf aus, wie Sie sich am nächsten Tag fühlen, sondern kann sich im Laufe der Zeit auch auf die Gesundheit Ihres Gehirns auswirken. Wir sahen einen schnelleren Rückgang der Denkfähigkeiten und Veränderungen im Gehirn, die darauf hindeuten, dass chronische Schlaflosigkeit ein Frühwarnzeichen oder sogar ein Beitrag zu zukünftigen kognitiven Problemen sein könnte.“
Die Daten zeigen zudem, dass Menschen mit dem APOE ε4-Gen, einem Risikofaktor für Alzheimer, besonders gefährdet sind. Probanden mit diesem Gen und chronischen Schlafproblemen erzielten in den Denk- und Gedächtnistests die schlechtesten Ergebnisse.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Schlaflosigkeit das Gehirn auf unterschiedliche Weise beeinflussen kann, wobei nicht nur Amyloid-Plaques, sondern auch kleine Gefäße beteiligt sind, die das Gehirn mit Blut versorgen.“
Angesichts der Ergebnisse erklären die Forscher, dass chronische Schlaflosigkeit nicht nur behandelt werden sollte, um den Schlaf und die Lebensqualität zu erhöhen, sondern auch, um die Gehirngesundheit zu erhalten.
„Unsere Ergebnisse tragen zu einer wachsenden Zahl von Beweisen bei, dass es beim Schlaf nicht nur um Ruhe geht. Es geht auch um die Widerstandsfähigkeit des Gehirns.“
Neurology, doi: 10.1212/WNL.0000000000214155