Zehn Bits pro Sekunde

Denkgeschwindigkeit des menschlichen Gehirns ermittelt

 Robert Klatt

Gehirn denkt mit „nur“ zehn Bits pro Sekunde )kcotS ebodAsegamidatus(Foto: © 

Das menschliche Gehirn ist selbst den schnellsten Computern in vielen Bereichen, etwa der Entscheidungsfindung, deutlich überlegen. Nun wurde ermittelt, dass diese enorme Leistung erreicht wird, obwohl die Kognitionsgeschwindigkeit des Organs überraschend gering ist.

Pasadena (U.S.A.). Das Gehirn des Menschen besteht im Mittel aus 85 Milliarden Nervenzellen und ist damit eines der komplexesten Gebilde der Natur. Supercomputer können deshalb die Leistung des Denkorgans in vielen Disziplinen bisher nicht annähernd erreichen. Forscher des California Institute of Technology (Caltech) haben nun eine Studie publiziert, laut der das Organ seine enorme Leistung erreicht, obwohl das Denken lediglich mit einer Informationsrate von zehn Bits pro Sekunde abläuft. Das übrige Nerven- und Sinnessystem verarbeitet Informationen hingegen mit einer Milliarde Bit pro Sekunde.

„Das menschliche Gehirn ist offensichtlich viel weniger beeindruckend, als wir vielleicht denken. Es ist unglaublich gemächlich, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, und im Vergleich zu modernen technischen Geräten ist es lächerlich langsam.“

Laut der Publikation im Fachmagazin Neuron haben die Forscher für ihre Studie Techniken der Informationstheorie angewendet und Daten aus Jahrzehnten psychologischer und neurologischer Forschung analysiert. Sie kamen so zu dem Ergebnis, dass die menschliche Kognitionsgeschwindigkeit zwischen fünf und 20 Bit pro Sekunde liegt und im Mittel zehn Bits pro Sekunde erreicht. Eine haushaltsübliche WLAN-Verbindung überträgt rund 50 Millionen Bit pro Sekunde.

„Es ist eine extrem niedrige Zahl. In jedem Moment extrahieren wir nur zehn Bits aus den Billionen, die unsere Sinne aufnehmen, und nutzen diese zehn, um die Welt um uns herum wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen.“

Laut den Wissenschaftlern könnte die Quantifizierung der Denkgeschwindigkeit einige Zukunftsszenarien entkräften, darunter etwa eine direkte Schnittstelle zwischen dem Gehirn und einem Computer. Diese soll eine schnellere Kommunikation ermöglichen als Sprechen oder Tippen. Die neuen Ergebnisse zeigen jedoch, dass die maximale Geschwindigkeit einer solchen neuronalen Schnittstelle bei 10 Bits pro Sekunde liegen würde.

„Geschwindigkeitsbegrenzung“ des Gehirns

Wie die Forscher erklären, ist rund ein Drittel der Milliarden Neuronen des Gehirns für höhere Denkaufgaben zuständig. Einzelne Neuronen können theoretisch deutlich mehr als 10 Bits pro Sekunde übertragen. Die Studie zeigt jedoch, dass diese ihre volle Leistung nicht annährend ausschöpfen. Zudem stellt sich die Frage, wieso das menschliche Gehirn so viele Nervenzellen besitzt und diese auch im Ruhezustand mit viel Energie versorgt, obwohl das tatsächliche Denken nur langsam abläuft. In zukünftigen neurowissenschaftlichen Studien wollen die Wissenschaftler diese „Geschwindigkeitsbegrenzung“ des Denkorgans genauer untersuchen.

Keine parallele Verarbeitung von Gedanken

Zudem stellt sich angesichts der Studie die Frage, wieso das Gehirn Gedanken nur nacheinander und nicht parallel verarbeiten kann, wie es auch die Sinnesorgane können. Andere Studien deuten darauf hin, dass das Gehirn in der menschlichen Evolution primär zur Navigation verwendet wurde, etwa um Nahrung zu finden oder um vor Gefahren zu fliehen. Es ist deshalb denkbar, dass das Gehirn ein simples System ist, das lediglich dazu dient, einem „Weg“ zu folgen.

„Das menschliche Denken lässt sich als eine Art Navigation durch einen Raum abstrakter Konzepte verstehen.“

Weitere Studien sollen untersuchen, ob die Einschränkung, Gedanken nur nacheinander und nicht gleichzeitig zu verarbeiten, fest in der Architektur des Organs vorhanden ist.

„Unsere Vorfahren haben sich eine ökologische Nische ausgesucht, in der die Welt langsam genug war, um ein Überleben möglich zu machen. Die 10 Bits pro Sekunde werden tatsächlich nur in Extremsituationen benötigt; die meiste Zeit verändert sich unsere Umwelt in einem wesentlich gemächlicheren Tempo.“

Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2024.11.008

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