Robert Klatt
Ein Diabetes-Medikament kann bei nikotinsüchtigen Ratten und Mäusen Entzugserscheinungen verhindern. Sollte die Wirkung auch beim Menschen eintreten, könnte das Mittel dabei helfen die Rauchentwöhnung deutlich einfacher zu machen. Außerdem zeigte der Wirkstoff in Tierversuchen auch bei Alkohol und Opioiden wie Heroin eine deutlich Herabsetzung der Entzugserscheinungen.
Camerino (Italien). Laut einer im Ärzteblatt veröffentlichten Metastudie sterben global pro Jahr etwa sechs Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. In Deutschland sind durch Zigaretten ausgelöste Erkrankungen für etwa 13 Prozent beziehungsweise 125.000 Todesfälle verantwortlich. Dies liegt vor allem daran, dass 75 bis 80 Prozent aller Raucher, die sich ihre Sucht abzugewöhnen wollen, rückfällig werden. Der Hauptgrund dafür sind körperliche und psychische Entzugserscheinungen, die beim süchtigen Personen ausgelöst werden, wenn das Nikotin fehlt, das sich sonst an Rezeptoren des Belohnungszentrums im Gehirn andockt.
Auch die bisher angebotenen Mittel zum Nikotinsubstitution wie Sprays und Kaugummis aber auch E-Zigaretten haben bei der Rauchentwöhnung nur geringer Erfolgsquoten. Laut einer nun von italienischen Wissenschaftler im Journal of Neuroscience publizierten Studie könnte ein neuer Ansatz den Nikotinentzug in Zukunft deutlich einfacher machen.
Die Wissenschaftler der Universität Camerino untersuchten dafür den Peroxisome Proliferator-Activated Rezeptor (PPARγ) bei Ratten und Mäusen, der vermehrt in Regionen des Gehirns vorkommt, die im Zusammenhang mit der Nikotinsucht stehen. Vorherige Studien konnten bereits belegen, dass das Diabetes-Mittel Pioglitazon auf die PPARγ-Rezeptoren wirkt.
In Tierversuchen konnte das Medikament bei Ratten die Entzugserscheinung mindern, die bei süchtigen Tieren beim Entzug von Alkohol und Opioiden wie Heroin entstehen. Um zu überprüfen, ob diese Wirkung auch bei Nikotin eintritt, haben die Forscher eine Reihe von Mäusen und Ratten nikotinabhängig gemacht und ihnen anschließend das Diabetes-Medikament verabreicht.
Laut den Wissenschaftlern um die Studienleiterin Esi Domi „verhindert eine Aktivierung der PPARγ-Rezeptoren durch Pioglitazin sowohl körperliche als auch affektive Entzugserscheinungen.“ Konkret bedeutet dies, dass die nikotinsüchtigen Versuchstiere auch während des Entzugs keinerlei der typischen Anzeichen wie Zittern, Unruhe oder eine auffällige Schreckhaftigkeit zeigten. Eine Untersuchung des Gehirns zeigte, dass der Wirkstoff vor allem auf den Hippocampus und in der Amygdala, wo sich das Angstzentrum des Gehirns befindet, wirkt.
Durch die Wirkung des Medikaments auf die Rezeptoren produzieren die Zellen des Gehirns verstärkt selbstständig das Glückshormon Neurotransmitter Dopamin, das auch bei Trinken von Bier ausgeschüttet wird, und Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Bei einem Entzug ohne Pioglitazon kommt es typischerweise zu einem Mangel dieser Botenstoffe.
Wie Domi erklärt „demonstrieren die Studienergebnisse die Rolle der neuronalen PPARγ-Rezeptoren beim Nikotinentzug, was dafürspricht, dass ein PPARγ-aktivierender Wirkstoff eine vielversprechende Unterstützung bei der Rauchentwöhnung sein könnte.“ Bevor die neuen Erkenntnisse zur Herstellung eines Medikaments genutzt werden können, sind jedoch noch klinische Studien notwendig, um zu überprüfen, ob die Wirkung auch beim Menschen auftritt und ob es Nebenwirkungen gibt. Eine Zulassung könnte laut den Wissenschaftlern relativ schnell erfolgen, weil Pioglitazon bereits als Medikament gegen Diabetes genutzt wird.
Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.1922-19.2019