Robert Klatt
Eine komplette digitale Erfassung und Auswertung aller Arzneimittelverschreibungen könnte in Deutschland pro Jahr 70.000 Todesfälle verhindern.
Berlin (Deutschland). Die Barmer Krankenkasse hat im Innovationsfondsprojekt AdAM (Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management) gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe von Juli 2017 bis Juni 2021 untersucht, welche Auswirkungen die digitale Erfassung und Auswertung aller Arzneimittelverschreibungen hätte. An der Studie nahmen 940 Hausärzte und 11.000 Patienten mit Polypharmazie, also Menschen, die fünf oder mehr Medikamente parallel einnehmen müssen, teil.
Im Rahmen des Projekts erhielten die behandelnden Ärzte erstmals in Deutschland mit dem Einverständnis der Patienten digital die vollständige medizinische Vorgeschichte, die anhand der Routinedaten der Krankenkasse ermittelt wurde. Die Ärzte wären dadurch über die Vorerkrankungen und verschriebene Arzneimittel ihrer Patienten bestens informiert. Zudem erhielten sie automatisch Hinweise bei möglichen Risiken der Therapie, also zum Beispiel zu gefährlichen Wechselwirkungen.
Laut dem Arzneimittelreport 2022 würde ein solches System bundesweit etwa 70.000 Todesfälle pro Jahr verhindern. Die Sterblichkeit im Vergleich zur herkömmlichen medizinischen Versorgung würde um 10 bis 20 Prozent sinken.
„Wir zeigen mit AdAM erstmals, dass die Nutzung von Routinedaten der Krankenkasse zur Behandlungsunterstützung und die elektronisch unterstützte Prüfung auf vermeidbare Risiken Ärzten eine bessere Behandlung ihrer Patienten ermöglichen. Bei flächendeckender Anwendung durch die niedergelassenen Ärzte kann AdAM jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermeiden.“
Die Studie untersuchte zudem, wie komplex medizinischen Daten im Mittel sind. Über 40-jährige Versicherte erhalten demnach in einem Zeitraum von zehn Jahren durchschnittlich 76 Rezepte. 27 Prozent der Versicherten erhalten in diesem Zeitraum 100 oder mehr Rezepte. Beim oberen Zehntel der Versicherten ab 90 Jahren waren es in zehn Jahren sogar 257 oder mehr Rezepte.
„Für Ärztinnen und Ärzte ist es kaum möglich, angesichts der Komplexität der Arzneimitteltherapie den Überblick zu behalten und Medikationsrisiken einzuschätzen.“