Robert Klatt
Das DRL untersucht die physikalische Verbreitung von mit Viren-belasteten Tröpfchen in Zügen und Flugzeugen. Die Studie liefert damit die Grundlage für weitere Forschung, ermöglicht aber keine Aussage über das Ansteckungsrisiko der Massenmobilität.
Göttingen (Deutschland). Lautes Sprechen kann laut einer Studie des National Institutes of Health (NIH) bis zu 100.000 winzige Flüssigkeitströpfchen mit dem neuen Coronavirus (SARS-COV-2) in die Luft abgeben, die dort für bis zu 14 Minuten verbleiben. Welchen Einfluss verschiedene Temperaturen und Luftbewegungen durch eine Klimaanlage oder ein Lüftungssystem auf die Aerosolpartikel haben, wurde in der Studie hingegen nicht untersucht.
Antworten auf diese noch offenen Fragen könnten bald Experimente des Deutsches Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bringen, bei denen untersucht wird, wie sich Viren-Partikel in Flugzeugen und Zügen verteilen. Die Wissenschaftler des DLR wollen so Lösungsansätze für eine Mobilität während der Corona-Pandemie entwickeln und untersuchen, ob die Massenmobilität wie angenommen tatsächlich die Ausbreitung des Corona-Virus fördert.
Durchgeführt wird die Studie von Wissenschaftlern des Göttinger DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, das seit Jahren zu den weltweit führenden Forschungszentrum auf dem Gebiet der Kabinenklimatisierung von Flugzeugen und Zügen gilt.
Laut Institutsleiter Prof. Andreas Dillmann „standen dabei bisher der Komfort der Passagiere und der Energiebedarf der Klimatisierung im Zentrum.“ Wie Dillmann erklärt, „können wir die dabei entwickelten wissenschaftlichen Werkzeuge jetzt für die Erforschung der Ausbreitung von Viren in Fahrgastkabinen einsetzen.“
Im ersten Studienteil simulieren die Forscher einen Covid-19-infizierten Passagier, der sich im Großraumabteil eines vollen Zugs mit sechs Sitzreihen befindet. Die Computersimulation berechnet dabei das Ausatmen und eventuelles Husten, um die Verteilung von Viren zu ermitteln. Genutzt wird dafür eine Simulation der Kabinenluftströmung, die das DLR bereits für andere Forschungszwecke erstellt hatte. Außerdem beinhaltet die Simulation Aerosolpartikel, die in der Luft zerstäuben und verdampfen. Laut den Wissenschaftlern ist dieser Prozess, bei dem starke Scherkräfte die Tröpfchen zerfallen lassen mit der Kraftstoffeinspritzung im Motor vergleichbar.
Die Parameter der verschiedenen Szenarien wurden aus Studien der US-Bundesluftfahrtbehörde FAA übernommen. Betrachtet werden somit Lungenvolumen zwischen 1 und 1,5 Litern und Partikelgrößen zwischen einem und einigen hundert Mikrometern, die die Simulation zur Berechnung der Verteilung und Reichweite nutzt.
Außerdem simulieren die Wissenschaftler im generischen Zuglabor Göttingen ein ähnliches Szenario in einem Experiment, für das 24 Puppen mit Messgeräten als Passagierdummys in verteilt wurden. Die Verteilung wird dabei anhand eines Dummys erprobt, der Luft mit beigemischten Tröpfchen und ein Spurengas in seine Umgebung abgibt. Die Aufzeichnung erfolgt sowohl durch Gassensoren als auch Highspeed-Kameras, die die Verteilung in der Kabinenluft dokumentiert. Zusätzlich zeichnet eine Reihe von Sensoren die Partikel und deren Konzentration an verschiedenen Position im Abteil auf.
Eine weitere Computersimulation untersucht überdies die Verteilung von Partikeln in Flugzeugen. Im Rahmen des EU-Projekts ADVENT soll schon bald ein Experiment in einem neuen Flugzeuglabor in Göttingen folgen.
Prof. Rolf Henke, Vorstand Luftfahrt im DLR: „Flugzeugkabinen sind in sich geschlossene Systeme und besitzen bereits eine hohe Luftreinhaltung. Unsere Forschung zur Virenverbreitung in Kabinen soll zum Schutz der Passagiere vor Infektionen beitragen und Antworten auf die Frage finden: wie kann Fliegen auch in Zukunft sicher sein?“
Die Wissenschaftler merken an, dass ihre Studie lediglich Informationen über die physikalische Verbreitung von mit Viren-belasteten Tröpfchen wird. Wie hoch die Infektiosität dieser Tröpfchen und damit auch das Ansteckungsrisiko in Zügen und Flugzeugen ist, kann die Studie hingegen nicht beantworten. Auch der eventuelle Einfluss von Luftfiltern, die gewöhnlich in Flugzeugen eingesetzt werden, kann anhand der Studiendaten nicht ermittelt werden.
Erste Ergebnisse sollen laut den Göttinger DLR-Forscher in den kommenden Wochen folgen. Die Durchführung und Auswertung einiger Experimente wird aber laut dem DRL noch mehrere Monate dauern.