D. Lenz
Nicht jede Krankheit befällt Männer und Frauen auf die gleiche Weise. Einige Infektionskrankheiten verlaufen bei Männern deutlich schwerer. Forscher aus London zeigen nun in einer Studie, dass dahinter eine evolutionäre Strategie der verantwortlichen Viren stecken könnte.
London (England). Pfeiffersches-Drüsenfieber, HPV-Infektionen und Tuberkulose - nur drei Beispiele für Krankheiten, unter denen Männer und Frauen unterschiedlich stark leiden. Die genauen Ursachen waren lange Zeit ein Rätsel, denn anatomische und hormonelle Unterschiede sind bei diesen Infektionen als Erklärung nicht ausreichend. Doch warum haben die Viren und Bakterien, die hinter diesen Erkrankungen stecken, häufiger schwere Folgen bei Männern?
In der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Francisco Úbeda und Vincent A. A. Jansen von der Royal Holloway University of London ihre Untersuchungsergebnisse. Mithilfe von statistischen Methoden berechneten sie, welchen Vorteil Krankheitserreger davon haben, wenn sie Frauen verhältnismäßig schwächer treffen.
Die Epidemiologie weiß, dass Viren und Bakterien dann besonders erfolgreich sind, wenn sie bei der Infektion die goldene Mitte erreichen: Die Krankheit darf weder zu stark noch zu schwach verlaufen. Ein schwacher Keim hat gegen ein gesundes Immunsystem kaum eine Chance - doch ein radikaler Super-Erreger, der sofort zum Tod führt, kann sich nicht ausreichend fortpflanzen.
Aus diesem Grund verbergen sich viele Krankheitserreger im Körper zunächst. Einige Bakterien bilden beispielsweise eine Hülle aus - dem Immunsystem fällt es dadurch schwer, die Strukturmoleküle an der Oberfläche des Bakteriums zu erkennen.
Diese Oberflächenmoleküle benötigen Antikörper, um sich daran zu binden. Anschließend können Fresszellen die so markierten Krankheitserreger aufnehmen.
Dadurch entsteht ein evolutionäres Wettrennen zwischen dem Wirt auf der einen und den Viren und Bakterien auf der anderen Seite.
Viele Viren und Bakterien profitieren davon, wenn sie Frauen infizieren, denn Frauen übertragen die Krankheit nicht nur auf denselben Wegen wie Männer, sondern können die Infektion auch an ihre ungeborenen Kinder oder über die Muttermilch weitergeben. Würden die entsprechenden Krankheitserreger Frauen genauso schwer krank machen wie Männer, verlören sie dadurch diese Ansteckungsroute.
Úbeda und Jansen sprechen in diesem Zusammenhang von einem vertikalen Transfer der Viren und Bakterien. Beim vertikalen Transfer handelt es sich um die Übertragung von einer Generation zur nächsten. „Frauen, aber nicht Männer, liefern einen zusätzlichen Übertragungsweg, was diese Wirte für die Erreger wertvoller macht", fassen die Wissenschaftler zusammen.
Úbeda und Jansen überprüften ihre theoretischen Überlegungen mithilfe eines epidemiologischen Modells. Der Berechnung legten sie die Daten des Virus HTLV-1 zugrunde. Eine Variante des Virus, die vor allem in der Karibik vorkommt, breitet sich überwiegend horizontal aus, während sich die japanische Variante von HTLV-1 zusätzlich auch vertikal fortpflanzt.
Dieser Virus kann eine bestimmte Form von Leukämie hervorrufen, die adulte T-Zellen-Leukämie (ATL). Die Krankheit verläuft in vielen Fällen tödlich.
Die Forscher zogen die Daten aus der Praxis heran und fanden ihre Theorie bestätigt: Nur in Japan zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede in der Todesrate. Männer starben zwei bis dreieinhalb Mal häufiger an der Infektion.
Diese Berechnung hat auch einen praktischen Nutzen. Úbeda und Jansen weisen darauf hin, dass geschlechtsspezifische Behandlungen oft fehlen. Ihr Modell belegt allerdings, dass dies eine Möglichkeit wäre, effektiver gegen Krankheiten vorzugehen, die sich auch vertikal ausbreiten.