Robert Klatt
Chronische soziale Isolation zeigt sich in einer veränderten Hirnaktivität des Menschen und sorgt für eine einsamere Selbstrepräsentation.
Hanover (U.S.A.). Einsamkeit und das Gefühl der sozialen Isolation sind laut einer im Fachmagazin International Psychogeriatrics publizierten Studie der University of California besonders unter jungen Erwachsenen, Menschen ab Mitte 50 und Senioren stark verbreitet. In den letzten Monaten hat die Corona-Pandemie, die viele Menschen zum Arbeiten im Homeoffice und zum Social-Distancing zwingt, aber auch in anderen Altersgruppen für mehr Einsamkeit gesorgt, die in schlimmen Fällen seelisches Leiden und gesundheitliche Probleme auslösen kann.
Wissenschaftler der Stanford University und des Dartmouth College haben deshalb untersucht, ob das Gefühl der Einsamkeit zu Veränderungen im Gehirn sorgt. Sie analysierten dazu laut ihrer Publikation im Journal of Neuroscience mithilfe der funktionalen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) die Hirnaktivität von 43 Probanden, während diese über eigene Eigenschaften sowie derer von Prominenten und engen Freunden nachdachten.
Es zeigte sich dabei, dass das Muster der Hirnaktivität je nach Bezugsperson der Gedanken stark variiert. Beim Nachdenken über die eigene Person sind also andere Schaltkreise aktiv als beim Nachdenken über Freunde oder Prominente. Die Muster beim Nachdenken über eine andere Person werden dabei umso ähnlicher mit den Mustern, die beim Nachdenken über sich selbst auftreten, umso stärker die empfundene Verbindung mit dieser Person ist. Laut den Studienautorinnen „ist für die neurale Repräsentation unsere subjektive Beziehung zu diesen Personen entscheidend.“
Bei allen Probanden war der im Stirnhirn liegende mediale präfrontale Cortex, der auch für das Selbstbild einer Person verantwortlich ist, der zentrale Schaltkreis beim Nachdenken über sich selbst oder andere Personen. Es zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen einsamen und sozial gut integrierten Probanden. Wie die Forscherinnen berichten „schienen die einsameren Teilnehmer eine ‚einsamere‘ Selbstrepräsentation im präfrontalen Cortex aufzuweisen.“ Dies äußerte sich darin, dass ihr Aktivierungsmuster stärker von anderen Schaltkreisen entkoppelt ist als bei sozial gut integrierten Personen.
Außerdem unterscheiden sich bei einsamen Menschen auch die neuralen Muster für enge Freunde und die eigene Person stärker. Wie Andrea Courtney erklärt, „wird bei den meisten von uns beim Nachdenken an uns selbst oder an unsere Freunde eine sehr ähnliche Konstellation aktiviert.“ Dies ist bei einsamen Menschen jedoch nicht der Fall.
Laut Meghan Meyer „scheint es, dass die Repräsentation der eigenen Person im Gehirn einsamer Menschen stärker von der anderer Menschen entkoppelt ist – das stimmt mit dem überein, was einsame Menschen empfinden.“ Die Forscherinnen konstatieren daher, dass „unser Gehirn sowohl Information über soziale Kategorien wie auch über die Verbundenheit mit uns selbst speichert.“ Eine chronische soziale Isolation führt laut den Studienergebnissen deshalb zu einer einsameren Selbstrepräsentation. Unklar ist allerdings, ob diese neuronalen Unterschiede Wirkung oder Ursache für die Einsamkeit beim Menschen ist.
International Psychogeriatrics, doi: doi.org/10.1017/S1041610218002120
Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.2826-19.2020