Robert Klatt
Lebensmittel erhalten immer mehr Fructose. Krebszellen können diesen Zucker zwar nicht als Energiequelle nutzen, profitieren durch Stoffwechselprodukte, die sie als „Baumaterial“ nutzen, aber indirekt von einer fruchtzuckerreichen Ernährung und können dadurch schneller wachsen.
St. Louis (U.S.A.). Fructose (Fruchtzucker) und Glucose (Traubenzucker) sind chemisch ähnlich aufgebaut. Fructose hat aber eine deutlich stärkere Süßkraft und galt lange als gesünder. Die Lebensmittelindustrie setzt in ihren Produkten deshalb inzwischen überwiegend Fruchtzucker ein, vor allem in Form von Maissirup. Menschen in westlichen Industrieländern konsumieren deshalb aktuell rund 15-Mal mehr Fructose als in den 1960er-Jahren. Parallel dazu hat die Anzahl der Krebsfälle bei Menschen unter 50 Jahren stark zugenommen.
In der Medizin ist seit langem bekannt, dass dafür nicht nur genetische- und Umweltfaktoren, sondern auch die Ernährung verantwortlich ist. Forscher der Washington University in St. Louis (WashU) haben deshalb untersucht, ob Krebszellen Fruchtzucker als Nahrung nutzen können. Im Körper des Menschen wird Fruchtzucker lediglich im Dünndarm und in der Leber verwertet, während alle Körperzellen Energie aus Glucose gewinnen können.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature haben die Wissenschaftler für ihre Studie krebskranke Zebrafische und Mäuse über mehrere Wochen mit normale oder mit fruchtzuckerreicher Nahrung gefüttert und dabei das Tumorwachstum beobachtet. Das Experiment zeigt, dass die Ernährung mit einem hohen Fruchtzuckeranteil das Wachstum der Krebstumore deutlich beschleunigt.
„Wir haben uns zahlreiche verschiedene Krebsarten in verschiedenen Geweben im ganzen Körper angesehen und sie folgten alle dem gleichen Mechanismus. In einigen Fällen beschleunigte sich die Wachstumsrate der Tumoren um das Doppelte oder sogar um mehr.“
Während des Experiments hat sich das Körpergewicht der Tiere trotz des Zuckers nicht verändert und die Konzentrationen von Glucose und Insulin im Blut blieb im nüchternen Zustand gleich. Dies deutet darauf hin, dass das Tumorwachstum direkt durch den Fruchtzucker und nicht durch einen veränderten Zuckerstoffwechsel ausgelöst wurde.
Um diese These zu untersuchen, haben die Forscher anschließend menschliche Krebszellen mit Fructose gefüttert. Die Zellkulturen wuchsen dadurch jedoch langsamer und nicht wie erwartet schneller, was darauf hindeutet, dass Krebszellen Fructose nicht selbst verstoffwechseln können.
„In den meisten Fällen wuchsen sie fast so langsam, als ob wir ihnen überhaupt keinen Zucker geben würden.“
Die Wissenschaftler haben deshalb eine neue These aufgestellt, laut der das stärkere Wachstum der Krebszellen durch Stoffwechselprodukte des Fruchtzuckers entsteht, die sich etwa bei der Verarbeitung des Zuckers in der Leber bilden. Um diese Annahme zu überprüfen, haben die Forscher Tiere mit Fruchtzucker gefüttert und anschließend beobachtet, ob sich die Konzentration unterschiedlicher Stoffwechselprodukte im Blutkreislauf verändert.
Sie konnten so belegen, dass eine fruchtzuckerhaltige Ernährung zu deutlich mehr Lipid-Molekülen im Blut führt, darunter mehr Lysophosphatidylcholine (LPCs). Experimente mit Leberzellen zeigen, dass diese Fruchtzucker mit den Enzymen Ketohexokinase (KHK) und Aldolase B verstoffwechseln und dadurch mehr LPCs in das Blut freisetzen. In den zuvor untersuchten Tumorzellen kommen diese Enzyme nicht vor. Sie können deshalb den Fruchtzucker nicht selbst verstoffwechseln und als Energiequelle für ihr Wachstum nutzen.
Wie die Forscher erklären, nutzen Krebszellen, die in der Leber produzierten LPCs, als „Baumaterial“, indem sie diese zu Phosphatidylcholinen (PCs) umwandeln und dann in ihre Zellmembran integrieren. Belegt wurde dies durch Zellkulturen aus Leber- und Tumorzellen, in denen das Wachstum der Krebszellen durch die Zugabe von Fruchtzucker stark zunahm.
Die Studie zeigt somit, dass die Leber Fructose in Nährstoffe für Krebszellen umwandelt. Laut den Forschern ist es deshalb denkbar, dass Krebspatienten ihren Tumor „aushungern“, indem sie auf Lebensmittel mit einem hohen Fruchtzuckeranteil verzichten.
„Wenn Sie das Pech haben, Krebs zu haben, sollten Sie wahrscheinlich darüber nachdenken, Fructose zu vermeiden."
Ob dieser Behandlungsansatz tatsächlich funktioniert, muss jedoch erst in klinischen Studien untersucht werden.
„Wenn wir an Tumore denken, konzentrieren wir uns bisher darauf, welche Nahrungsbestandteile sie direkt zu sich nehmen. Aber der Mensch ist komplex. Das, was wir in unseren Körper geben, kann von gesundem Gewebe verbraucht und dann in etwas anderes umgewandelt werden, das Tumore verwenden.“
Nature, doi: 10.1038/s41586-024-08258-3