Robert Klatt
Man ging bisher davon aus, dass nur das Gehirn des Menschen Erinnerungen bilden kann. Nun wurde entdeckt, dass auch in Nieren- und Nervenzellen entsprechende Prozesse ablaufen können. Die neuen Erkenntnisse könnten dabei helfen, das Lernen zu fördern und Gedächtnisprobleme zu behandeln.
New York City (U.S.A.). Die Wissenschaft ist bisher davon ausgegangen, dass Lernprozesse und Erinnerungen des Menschen ausschließlich im Gehirn stattfinden. Nun haben Forscher der New York University (NYU) um Nikolay V. Kukushkin entdeckt, dass auch Nieren- und Nervengewebe lernen können und sich dabei ähnlich verhalten wie die Neuronen des Gehirns.
„Lernen und Gedächtnis werden allgemein ausschließlich mit Gehirn und Gehirnzellen in Verbindung gebracht, doch unsere Studie zeigt, dass auch andere Zellen im Körper lernen und Erinnerungen bilden können.“
Die Entdeckung zeigt laut den Autoren der im Fachmagazin Nature Communications publizierten Studie, dass auch Zellen aus anderen Körperbereichen als dem Gehirn bei der Gedächtnisbildung eine Rolle spielen. Die neuen Erkenntnisse könnten dabei helfen, die Gedächtnisfunktionen besser zu verstehen und die Behandlung von Gedächtnisproblemen zu verbessern.
Bei der Untersuchung, ob auch nicht-neuronale Zellen ein Bestandteil des Gedächtnisses sind, haben die Wissenschaftler den sogenannten Masse-Intervall-Effekt verwendet. Es handelt sich dabei um ein neurologisches Phänomen, laut dem Informationen besser im Gedächtnis behalten werden, wenn Menschen diese in zeitliche Abständen lernen, anstatt sie in einer langen und intensiven Einheit aufzunehmen.
Die Wissenschaftler haben dazu die Nieren- und Nervenzellen im Labor unterschiedlichen chemischen Signalen ausgesetzt, ähnlich wie Nieren- und Nervengewebe, die beim Lernprozess Neurotransmittermustern ausgesetzt sind. Dabei beobachteten sie, dass in den Nieren- und Nervenzellen ein Gedächtnisgen aktiv wird, das auch bei Gehirnzellen aktiv ist, wenn diese neue Informationen erkennen und speichern.
Laut den Ergebnissen der Experimente konnten die Nieren- und Nervenzellen erkennen, wenn die chemischen Impulse in Intervallen wiederholt wurden, anstatt dauerhaft anzuhalten. Wenn die Impulse in regelmäßigen Abständen stattfanden, haben die Zellen das Gedächtnisgen stärker und über einen längeren Zeitraum aktiviert, als wenn die chemischen Signale dauerhaft aktiv waren.
„Dies zeigt den Masse-Intervall-Effekt in Aktion. Es verdeutlicht, dass die Fähigkeit, aus zeitlich gestaffeltem Wiederholen zu lernen, nicht nur den Gehirnzellen vorbehalten ist, sondern möglicherweise eine grundlegende Eigenschaft aller Zellen darstellt.“
Die Forscher erklären, dass die neuen Erkenntnisse dabei helfen können, innovative Methoden für die Erforschung des Gedächtnisses zu entwickeln und auch in der Medizin eingesetzt werden könnten.
„Diese Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten, zu verstehen, wie Gedächtnis funktioniert und könnte zu besseren Wegen führen, das Lernen zu fördern und Gedächtnisprobleme zu behandeln. Gleichzeitig deutet dies darauf hin, dass wir in Zukunft unseren Körper mehr wie das Gehirn betrachten müssen – beispielsweise könnten wir berücksichtigen, was unsere Bauchspeicheldrüse sich über das Muster unserer bisherigen Mahlzeiten „merkt“, um gesunde Blutzuckerwerte aufrechtzuerhalten, oder wie eine Krebszelle sich an das Chemotherapiemuster erinnert.“
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-53922-x